Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Verfügung auf Unterlassung eines Arbeitskampfes. Friedenspflicht aus Verbandstarifvertrag gegenüber einzelnen Verbandsmitgliedern
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Prüfung, ob eine auf Unterlassung eines Arbeitskampfes gerichtete einstweilige Verfügung im Sinne des § 940 ZPO zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Verfügungsgrund), hat eine Interessenabwägung stattzufinden, in die sämtliche in Betracht kommenden materiell-rechtlichen und vollstreckungsrechtlichen Erwägungen sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen für beide Parteien einzubeziehen sind.
2. Danach sind bei einer schwierigen und ungeklärten Rechtslage die Anforderungen an den Verfügungsgrund erhöht. Bei einer in hohem Maße zweifelhaften Rechtslage kann regelmäßig keine einstweilige Verfügung ergehen. Umgekehrt braucht dann, wenn die Rechtslage positiv durch höchstrichterliche Rechtssprechung geklärt ist, der Verfügungsgrund nicht von besonderem Gewicht zu sein.
3. Die kampfweise Durchsetzung eines Firmentarifvertrags ist nicht schon deshalb verboten, weil der Arbeitgeber Mitglied eines Arbeitgeberverbandes ist.
4. Das Verbandsmitglied ist lediglich durch die relative, Friedenspflicht geschützt, die in den schuldrechtlichen Vorschriften des bestehenden Verbandstarifvertrages enthalten ist und als Vertrag zugunsten Dritter auch die Mitglieder der Tarifpartei schützt. Sie geht nicht weiter als die Friedenspflicht gegenüber dem Verband und verbietet daher nur, einen bestehenden Verbandstarifvertrag inhaltlich dadurch in Frage zu stellen, daß Änderungen oder Verbesserungen der dort geregelten Gegenstände mit Mitteln des Arbeitskampfes erstrebt werden.
5. Es spricht viel dafür, die durch Auslegung zu ermittelnde Friedenspflicht aus dem Verbandstarifvertrag gegenüber einem Arbeitgeber, der trotz bestehender Verbandsmitgliedschaft lange Zeit Firmentarifverträge abgeschlossen hat, noch weiter einzuschränken: In solchen Fällen kann im Abschluß des Verbandstarifvertrages regelmäßig nicht die konkludente Willenserklärung der Gewerkschaft gesehen werden, auf die Durchsetzung der Fortsetzung des Firmentarifvertrages auch mit Mitteln des Arbeitskampfes verzichten zu wollen.
6. Danach könnte sich ein Verbandsmitglied, das jahrelang Firmentarifverträge abgeschlossen hat, erst dann auf die Friedenspflicht aus dem Verbandstarifvertrag berufen, wenn es rechtzeitig vor dem Neuabschluß des Verbandstarifvertrages klargestellt hat, daß es in Zukunft ebenfalls den Verbandstarifvertrag anwenden und nicht mehr Haustarifverträge abschließen wolle.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3; TVG §§ 1-2; ZPO §§ 938, 940
Verfahrensgang
Tenor
Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 06.02.1996 – 6 Ga 15/96 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens – einschließlich der Kosten der ehemaligen Berufungsbeklagten zu 2 bis 6 – hat die Verfügungsklägerin zu tragen.
Tatbestand
Die Verfügungsklägerin, die einen Verlag mit Sitz in Köln betreibt, nimmt die verfügungsbeklagte Gewerkschaft auf Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen in Anspruch. Während sie erstinstanzlich mit ihrem Unterlassungsbegehren auch natürliche Personen, die Verfügungsbeklagten zu 2) bis 6), beklagte, verfolgt sie zweitinstanzlich gegen diese ihr Begehren nicht weiter. Die Verfügungsklägerin ist seit April 1971 Mitglied des Verbandes der Verlage und Buchhandlungen in Nordrhein-Westfalen e. V.. Dieser ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes der Verlage und Buchhandlungen in Nordrhein-Westfalen e. V.. Die Verfügungsklägerin gehört auch diesem letzteren an. Seit dem 01.12.1995 besteht zusätzlich ihre Mitgliedschaft im Verein der Zeitschriftenverlage in Nordrhein-Westfalen e. V.. Dieser ist tariffähig und schließt für die Mitgliedsverlage Tarifverträge ab. Diese Aufgabe kann auch von seinem Dachverband, dem Verband der deutschen Zeitschriften Verleger wahrgenommen werden. Die in Ziffer 1) des Antrages der Verfügungsklägerin aufgeführten Tarifverträge haben der Verband der deutschen Zeitschriftenverleger bzw. der Verein der Verlage in NRW abgeschlossen. Die in Ziffer 2) des Antrags genannten Tarifverträge, die vom Verband der Verlage und Buchhandlungen in Nordrhein-Westfalen e. V. abgeschlossen wurden, sind mit den in Ziffer 1) des Antrags genannten ersten beiden Tarifverträgen identisch.
Das Tarifgebiet Buch- und Zeitschriftenverlage existiert erst seit 22 Jahren. Erstmalig am 20.02.1973 wurde ein Flächen-Tarifvertrag in diesem Tarifbereich mit der Vorgängerin der Verfügungsbeklagten, der abgeschlossen.
Seit dem 29.11.1955 bestehen zwischen der Verfügungsklägerin und der Verfügungsbeklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin Haustarifverträge. Diese schloß die Verfügungsklägerin auch weiterhin ab, als sie im Jahre 1971 Mitglied des Verbandes der Verlage und Buchhandlungen wurde. Mit Schreiben vom 29.01.1990 kündigte die Verfügungsklägerin den Haus-Manteltarifvertrag vom 29.09.1990 zum 31...