Entscheidungsstichwort (Thema)
außerordentliche Kündigung. soziale Auslauffrist. Schwerbehinderung. Fiktionswirkung. Anwendbarkeit der Zustimmungsfiktion gemäß § 91 Abs. 3 S. 2 SGB IX bei einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist
Leitsatz (amtlich)
§ 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX ist nur auf fristlose außerordentliche Kündigungen anwendbar. Er gilt nicht für außerordentliche Kündigungen mit Auslauffrist.
Normenkette
BGB § 626; SGB IV §§ 91, 85
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 14.07.2011; Aktenzeichen 8 Ca 8591/10) |
Tenor
1.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 14.07.2011 - 8 Ca 8591/10 - wird zurückgewiesen.
2.
Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 14.07.2011 - 8 Ca 8591/10 - teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Facharbeiter in der Abteilung Fahrzeug-/Transportservice weiterzubeschäftigen.
3.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung sowie über die Weiterbeschäftigung des Klägers.
Die Beklagte beschäftigt weit mehr als 10 Arbeitnehmer, im Betrieb ist ein Betriebsrat gewählt. Der Kläger ist seit 1978 bei der Beklagten zuletzt als Facharbeiter im Fahrzeug-/Transportservice beschäftigt. Der Kläger ist 1957 geboren, ledig und im Kündigungszeitpunkt mit einem Grad von 40 behindert und einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Seit Mai 2011 ist er mit einem Grad von 50 anerkannt. Sein letzter monatlicher Bruttoverdienst betrug 2.771,51 €. Der Kläger ist aufgrund der im Arbeitsverhältnis geltenden Tarifregelungen ordentlich unkündbar.
Im Jahr 2009 kam den Kläger mehrfachen Aufforderungen der Beklagten zu Personalgesprächen aus Anlass häufiger Arbeitsunfähigkeiten über eine Wiedereingliederung nach langandauernder Arbeitsunfähigkeit nicht nach. Die Beklagte mahnte dieses Verhalten am 23.07.2009, am 04.08.2009 sowie am 10.08.2009 ab. Am 19.08.2009 kam ein sogenanntes BEM-Gespräch unter Hinzuziehung des Werksarztes zustande. Am 12.10.2009 erteilte die Beklagte dem Kläger im Zusammenhang mit einer Arbeitsunfähigkeit drei weitere Abmahnungen. Sie warf dem Kläger vor, er habe sich weisungswidrig nicht bei seinem Vorgesetzten, sondern einem Arbeitskollegen krankgemeldet, habe die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verspätet eingereicht und sich zudem während der Arbeitsunfähigkeit genesungswidrig verhalten.
Am 13. und 14.09.2010 erschien der Kläger nicht zur Arbeit. Am 14.09.2010 fuhren der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende und ein weiteres Betriebsratsmitglied zum Wohnhaus des Klägers, dessen Fahrzeug vor dem Haus stand. Trotz Klingeln wurde ihnen nicht geöffnet. Mittags fuhr der Vorgesetzte des Klägers zu dessen Wohnung. Nachdem der Kläger weder öffnete, noch auf einen Telefonanruf reagierte, verständigte der Vorgesetzte die Polizei. Diese verschaffte sich anschließend Zutritt zu der Wohnung und fand den Kläger dort vor.
Am Folgetag, dem 15.09.2010 erschien der Kläger erneut nicht zu Schichtbeginn. Er meldete sich zwei Stunden später um 8 Uhr telefonisch bei seinem Vorgesetzten und bat, darum ihm Urlaub zu gewähren. Der Vorgesetzte lehnte dies ab und stellte den Kläger stattdessen bis auf weiteres unter Fortzahlung der Vergütung frei.
Am 17.09.2010 führte der Personalleiter unter Beteiligung zweier Führungskräfte, des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden sowie des Schwerbehindertenvertreters mit dem Kläger ein Disziplinargespräch. Der Kläger erklärte, er habe am Samstag, den 11.09.2010 nach einem Streit mit seiner damaligen Lebensgefährtin einen Suizidversuch unternommen und danach nichts mehr mitbekommen, bis am Dienstag die Polizei bei ihm zu Hause gewesen sei.
In der Zeit vom 18.09. bis 09.11.2010 unterzog sich der Kläger einer freiwilligen stationären Behandlung in der LVR-Klinik in D .
Mit Schreiben vom 17.09.2010 hörte die Beklagte sowohl die Schwerbehindertenvertretung als auch den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen fristlosen sowie hilfsweise mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2011 auszusprechenden Kündigung des Klägers an. Beide nahmen am 17.09.2011 abschließend Stellung, ohne der Kündigung zu widersprechen. Am 22.09.2010 beantragte die Beklagte die Zustimmung des Integrationsamts zu den beiden beabsichtigten Kündigungen. Mit Schreiben vom 07.10.2010 bestätigte das Integrationsamt den Eintritt der Fiktion des § 91 SGB IX.
Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 07.10.2010 fristlos, hilfsweise unter Einhaltung einer Auslauffrist bis zum 30.06.2011. Gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung wendet sich der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit. Wegen des weiteren erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlichen gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Mit diesem ...