Entscheidungsstichwort (Thema)
Systematik der tariflichen Eingruppierung im TV-L. Ermittlung der Arbeitsvorgänge als Bezugspunkt der tariflichen Eingruppierung. Mehrere unterschiedliche Arbeitsvorgänge als Regelfall. Ganzheitliche Bearbeitung einer Tätigkeit zur Erreichung eines einzigen Arbeitsziels. Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrags
Leitsatz (amtlich)
1. Bezugspunkt der tariflichen Bewertung sind die jeweils anfallenden Arbeitsvorgänge. Bei der Bestimmung der Arbeitsvorgänge bleibt die tarifliche Wertigkeit der verschiedenen Einzeltätigkeiten oder Arbeitsschritte zunächst außer Betracht. Erst nachdem die Bestimmung der Arbeitsvorgänge erfolgt ist, sind diese anhand des in Anspruch genommenen Tätigkeitsmerkmals zu bewerten.
2. Dabei ist es zwar nicht ausgeschlossen, dass sämtliche Tätigkeiten einer/eines Beschäftigten auf ein einziges Arbeitsergebnis gerichtet sind. Das ist jedoch nach dem Willen der Tarifvertragsparteien nicht der Regelfall. Vielmehr gehen die Tarifvertragsparteien davon aus, dass üblicherweise mehrere unterschiedliche Arbeitsvorgänge anfallen.
3. Beschäftigten in Serviceeinheiten bei Gerichten oder Staatsanwaltschaften ist nach der tarifvertraglichen Begriffsbestimmung die ganzheitliche Bearbeitung der Aufgaben des mittleren Justizdienstes übertragen. Daraus folgt aber nicht, dass stets nur von einem einzigen Arbeitsvorgang im Sinne des § 12 TV-L auszugehen ist.
Leitsatz (redaktionell)
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können.
Normenkette
TV L § 12; TVG § 1; TV-L § 12 Protokollerklärung Nr. 1, § 12 Protokollerklärung Nr. 4, § 12 Anl. A EntgO EG 6 und EG 8-9
Verfahrensgang
ArbG Rostock (Entscheidung vom 03.02.2021; Aktenzeichen 5 Ca 336/20) |
Tenor
1. Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 03.02.2021 - 5 Ca 336/20 - abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
2. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung einer Beschäftigten in einer amtsgerichtlichen Serviceeinheit für Strafsachen.
Die 1991 geborene Klägerin schloss im August 2012 ihre Ausbildung zur Justizfachangestellten erfolgreich ab und nahm am 24.08.2012 bei dem beklagten Land eine Vollzeitbeschäftigung in einer Serviceeinheit beim Landgericht R. auf. Auf das Arbeitsverhältnis finden gemäß Arbeitsvertrag der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L), der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Länder) sowie die Tarifverträge, die den TV-L und den TVÜ-Länder ergänzen, ändern oder ersetzen, in der Fassung, die für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder und für das Land Mecklenburg-Vorpommern jeweils gilt, Anwendung. Die Klägerin erhält seit Anbeginn der Beschäftigung die Vergütung der Entgeltgruppe 6 TV-L.
Nachdem die Klägerin rund eine Woche als Serviceeinheit in einer Strafkammer der ersten und zweiten Instanz tätig war, wechselte sie für die Dauer von drei Monaten, vom 01.09. bis zum 30.11.2012, an das Amtsgericht G., wo sie in einer Serviceeinheit im Grundbuchamt tätig war. Im Anschluss daran kehrte sie an das Landgericht R. zurück und war wiederum als Serviceeinheit in einer Strafkammer der ersten und zweiten Instanz und ab dem 15.05.2013 in einer Strafkammer der zweiten Instanz eingesetzt.
In der Zeit vom 01.10.2013 bis 14.08.2016 war die Klägerin im Landesamt für ambulante Straffälligenarbeit Mecklenburg-Vorpommern tätig, zunächst in der zentralen Geschäftsstelle und ab dem 01.06.2015 in der Geschäftsstelle Führungsaufsicht.
Zum 15.08.2016 wurde die Klägerin an das Amtsgericht G. versetzt. Bis zum Jahresende 2016 war sie zunächst als Serviceeinheit in Bußgeld- sowie OWiG-Verfahren gegen Erwachsene tätig. Im ersten Halbjahr 2017 bearbeitete sie sodann ausschließlich Bußgeldverfahren gegen Erwachsene. Ab dem 04.07.2017 war sie für Strafsachen des Jugendrichters, Jugendschöffengerichts, Strafrichters und Schöffengerichts sowie zu einem geringen Anteil von 1 % für OWiG-Verfahren Erwachsene zuständig. Seit 03.10.2018 ist die Klägerin nicht mehr mit OWiG-Verfahren befasst, während ihre Zuständigkeit im Übrigen, d. h. für den Strafrichter und das Schöffengericht sowie den Jugendrichter und das Jugendschöffengericht unverände...