Entscheidungsstichwort (Thema)
Prinzip der Haftungsersetzung bei Personenschäden im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis. Haftungsprivileg des Unternehmers bei Personenschäden nach früherem und heutigem Sozialversicherungsrecht. Differenzierung zwischen Wegeunfall und Unfall auf einem Betriebsweg
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Prinzip der Haftungsersetzung erfasst alle Haftungsgründe des bürgerlichen Rechts einschließlich der Gefährdungshaftung. Es löst die zivilrechtliche Haftung des Unternehmers gegenüber seinen Arbeitnehmern ab und setzt an deren Stelle die Gesamthaftung der in der Berufsgenossenschaft zusammengeschlossenen Unternehmen.
2. Die Geltung des Haftungsprivilegs aus der früheren Reichsversicherungsordnung (§§ 636, 637 RVO) wurde im Jahr 1997 durch die Regelungen des Sozialgesetzbuchs VII (§§ 104, 105 SGB VII) abgelöst, aber in seinen tatbestandlichen Grundvoraussetzungen nicht verändert. Die neue Terminologie "Versicherungsfall" hat im Vergleich zum früheren "Arbeitsunfall" bezüglich der vorsätzlichen Herbeiführung keine Änderung erbracht.
3. Die Wege vom Werkstor zum Arbeitsplatz und zurück stehen mit der versicherten Tätigkeit in einem unmittelbaren inneren Zusammenhang. Auf spezielle örtliche oder bauliche Verhältnisse der jeweiligen Betriebsstätte kommt es dabei nicht an. Denn der Ort der Tätigkeit ist in der Regel das gesamte Werksgelände mit seiner betriebseigentümlichen Gefahr.
Normenkette
SGB VII § 104 Abs. 1 S. 1, § 8 Abs. 2 Nrn. 1-4, § 105 Abs. 1; RVO a.F. §§ 636-637
Verfahrensgang
ArbG Rosenheim (Entscheidung vom 27.03.2018; Aktenzeichen 1 Ca 1407/17) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 27.03.2018 - 1 Ca 1407/17 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Bezahlung eines Schmerzensgeldes, über Schadensersatz und die Feststellung einer weitergehenden Schadenersatzpflicht der Beklagten.
Die Klägerin war seit dem 01.11.2010 bei der Beklagten, die ein Seniorenpflegeheim betreibt, als Pflegefachkraft beschäftigt. Am 07.12.2016 stellte die Klägerin vor dem Arbeitsbeginn um 8:00 Uhr um circa 7:30 Uhr ihr Fahrzeug auf einem Parkplatz außerhalb des Geländes des Seniorenpflegeheims ab und begab sich sodann zu Fuß zum Seiteneingang des Pflegeheims an dem sich wie am Haupteingang ein Zeiterfassungsgerät befand. Bevor die Klägerin den Eingang erreichte, rutschte die Klägerin nach ihrer Darstellung auf dem Weg, der zum Betriebsgelände gehörte und weder gesalzen noch mit Split bestreut war, aus und erlitt dabei eine Außenknöchelfraktur. In der Zeit von 09.12.2016 bis 12.12.2016 befand sich die Klägerin stationär im Krankenhaus Z., wobei sie am Bein operiert wurde und eine Metallplatte eingesetzt wurde. In der Folgezeit kam es zu einer Wundheilungsstörung mit einem verzögerten Heilungsverlauf über den Mai 2017 hinaus verbunden mit einer Beweglichkeitseinschränkung.
Im Hinblick auf die Schwere der erlittenen Verletzung und dem langwierigen Heilungsverlauf hat die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 10.000,00 € geltend gemacht und weiter gefordert, dass die Beklagte die Anwaltskosten für die außergerichtliche Einschaltung ihres Prozessbevollmächtigten zu tragen habe. Weiter hat die Klägerin darauf verwiesen, dass ihr Ehemann, der geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH sei, sich um sie, die gemeinsamen Kinder und den Haushalt habe kümmern müssen und er tagtäglich durchschnittlich viereinhalb Stunden mit Pflege und Versorgung der Kinder und des Haushaltes eingespannt gewesen sei, die sich später auf durchschnittlich zweieinhalb Stunden pro Tag reduziert hätten. Dies habe bei ihrem Ehemann einen Verdienstausfall von 75,00 € pro Stunde ergeben und habe insgesamt einen Verdienstausfall in Höhe von 18.750,00 € verursacht. Auf die Berechnung im Schriftsatz vom 20.09.2017 Seite 2 Ziffer 2 (Bl. 12 d. A.) wird Bezug genommen. Schließlich hat die Klägerin noch für insgesamt 2.345 Kilometer für Fahrten zum Arzt, zur Krankengymnastik sowie zu Krankenhäusern mit einem Erstattungsbetrag von 0,32 € pro Kilometer einen Betrag iHv. 750,40 € verlangt.
Vor dem Arbeitsgericht hat die Klägerin, die zunächst ihre Klage beim Landgericht erhoben hat, worauf dieses mit Beschluss vom 25.09.2017 das Verfahren an das Arbeitsgericht verwiesen hat (Bl. 40-41), beantragt:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein in das Ermessen des Gerichts gemäß § 287 ZPO gesetztes Schmerzensgeld, mindestens aber € 10.000,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.08.2017 zu bezahlen.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen Schäden aus dem Unfall vom 07.12.2016 (Weg zum Seiteneingang des Hauses II des Seniorenpflegeheimes R.) zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht an Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder übergegangen sind.
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