Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame betriebsbedingte Kündigung einer Verkäuferin in Elternzeit bei möglicher Beschäftigung nach Ablauf der Elternzeit
Leitsatz (amtlich)
Trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit zum Kündigungszeitpunkt kann eine betriebsbedingte Kündigung gegenüber einer sich in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmerin im Rahmen der Interessenabwägung sozial ungerechtfertigt sein, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich bis zum Ende der Elternzeit eine neue Beschäftigungsmöglichkeit ergeben kann.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2 Sätze 1, 1 Alt. 3; BEEG § 18 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 04.02.2015; Aktenzeichen 1 Ca 312/14) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 04.02.2015 - 1 Ca 312/14 - abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 07.04.2014 beendet worden ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung, die die Beklagte mit Schreiben vom 07.04.2014 am 16.07.2014 zum 31.12.2014 erklärt hat.
Die am 00.00.1986 geborene Klägerin, die sich bis zum 16.07.2016 in Elternzeit befindet, wurde seit dem 01.08.2004 von der Beklagten zur Verkäuferin ausgebildet und war anschließend als solche im Kaufhaus der Beklagten in A-Stadt beschäftigt, zuletzt mit einer durchschnittlichen monatlichen Arbeitszeit von 158 Stunden gegen ein Entgelt von 1.325,00 € brutto. Nach § 2 Abs. 2 des Arbeitsvertrags vom 12.10.2010 (Bl. 66 ff. d.A.) war die Beklagte berechtigt, die Klägerin auch in anderen Betrieben und an anderen Orten zu beschäftigen.
Die Beklagte betreibt weitere Verkaufsstellen beziehungsweise Kaufhäuser in P-Stadt, W-Stadt, T-Stadt, E-Stadt und F-Stadt. In der Verkaufsstelle P-Stadt waren zur Zeit der Kündigung der Klägerin die Vollzeitkraft C. und die Teilzeitkraft B. beschäftigt, deren Stundendeputate die Öffnungszeiten der Verkaufsstelle abdeckten. Die am 00.00.1974 geborene C. war seit dem 01.10.2008 beschäftigt und erhielt als Verkaufsstellenleiterin eine Funktionszulage in Höhe von 250,00 € pro Monat. Die am 00.00.1955 geborene B. stand seit dem 01.12.2010 in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Der Filialleiter des Kaufhauses in A-Stadt war zugleich für die Verkaufsstelle P-Stadt zuständig. Wegen den Beschäftigten und deren Sozialdaten in den Filialen/Verkaufsstellen in W-Stadt, T-Stadt, E-Stadt und F-Stadt wird auf Bl. 114 bis 116 d.A. verwiesen.
Nach Mietauseinandersetzungen verpflichtete sich die Beklagte durch gerichtlichen Vergleich vom 13.02.2014 das Betriebsgrundstück spätestens zum 31.12.2014 zu räumen. Dieser Verpflichtung kam die Beklagte nach und schloss das Kaufhaus in A-Stadt, in dem regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt waren, zum 31.12.2014 und kündigte allen dort Beschäftigten zu diesem Termin, auch der Klägerin, nachdem das Gewerbeaufsichtsamt mit nichtbestandskräftigem Bescheid vom 01.07.2014 (Bl. 42 ff. d.A.) die Kündigung für zulässig erklärt hatte.
Mit ihrer am 28.07.2014 eingereichten Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 18 Abs. 1 BEEG geltend gemacht und deren Sozialwidrigkeit gerügt. Die Kündigung zum 31.12.2014 sei nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, da sich bis zum Ablauf ihrer Elternzeit eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit ergeben könne. Die Sozialauswahl sei zudem nicht ordnungsgemäß erfolgt, weil es sich bei allen Filialen und Verkaufsstellen um einen Betrieb handele, der durch den kaufmännischen Leiter von A-Stadt aus in personellen und sozialen Angelegenheiten geführt werde. Konkret hat sie die soziale Auswahl in Bezug auf die Arbeitnehmerinnen der Verkaufsstelle in P-Stadt gerügt.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 07.04.2014, der Klägerin zugegangen am 16.07.2014, nicht beendet wird,
2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach ihrer Ansicht ist die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt gewesen, weil die Beschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin zum 31.12.2014 wegen der Schließung des Kaufhauses in A-Stadt und mangels anderweitiger freier Arbeitsplätze in ihren Filialen entfallen sei. Eine Sozialauswahl sei wegen der Kündigung aller Arbeitnehmer des Kaufhauses in A-Stadt nicht vorzunehmen gewesen. Eine Einbeziehung der Arbeitnehmerinnen der anderen Filialen und Verkaufsstellen sei nicht erforderlich gewesen, weil es sich jeweils um selbstständige Betriebe handele, da diese durch die jeweiligen Filialleiter/innen selbstständig geführt würden, die insbesondere die Befugnis zur...