Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahlungsanspruch eines Arbeitnehmers auf Schadensersatz wegen entgangener Bonuszahlungen für das Geschäftsjahr 2021
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Arbeitgeber verletzt seine arbeitsvertragliche Pflicht, wenn er - wie hier - die laut arbeitsvertraglicher Regelung zum Bonussystem erforderliche Vorgabe der Unternehmensziele dem betreffenden Arbeitnehmer erst so spät mitteilt, dass die einseitige Zielvorgabe durch Zeitablauf unmöglich wird.
2. Erfolgt eine Zielvorgabe erst zu einem so späten Zeitpunkt innerhalb des maßgeblichen Geschäftsjahres, dass sie ihre Anreizfunktion - die Förderung der Mitarbeitermotivation - nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, ist sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Ein derart später Zeitpunkt ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Geschäftsjahr bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen ist.
3. Eine in der Zielperiode pflichtwidrig und schuldhaft unterbliebene Zielvorgabe ist in gleicher Weise zulasten des Arbeitgebers schadensersatzauslösend, wie die pflichtwidrig und schuldhaft nicht abgeschlossene Zielvereinbarung, allerdings ohne dass ein Mitverschulden des Arbeitnehmers in Betracht kommt.
Normenkette
BGB § 611a Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Würzburg (Entscheidung vom 25.10.2023; Aktenzeichen 5 Ca 148/23) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg - Kammer Aschaffenburg - vom 25.10.2023, Az. 5 Ca 148/23, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen entgangener Bonuszahlungen für das Geschäftsjahr 2021.
Die Klägerin war bei der Beklagten von November 2015 bis Mai 2022 als Account Manager in der Abteilung Sales VW Group beschäftigt. Das Vertragsverhältnis endete durch arbeitnehmerseitige Kündigung zum 31. Mai 2022. Für ihre Tätigkeit erhielt die Klägerin zuletzt ein jährliches Fixgehalt i. H. v. EUR 66.634,60 brutto.
Die Seiten 15 und 16 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrags (Anlage K1, Blatt 30, 31 der Akten) enthalten folgende Regelungen zum Bonussystem:
"C. Bonus System
C. will mit seinen wertvollen Mitarbeitern weiter wachsen. Deshalb wollen wir für diese Mitarbeiter ein attraktiver Arbeitgeber sein und sie durch geeignete berufliche Förderung und Entwicklung an das Unternehmen binden. Das C. Bonus System ist ein Instrument, um Leistungsträger zu motivieren und den hohen Leistungsstandard zu sichern.
Jeder Leistungsträger, der das Erreichen der Unternehmensziele durch seinen Beitrag erkennbar beeinflussen kann, ist ein potenzieller Kandidat für die Teilnahme am Bonus System. Es besteht allerdings kein Anspruch auf Aufnahme in das System.
Mit der Teilnahme am unternehmenseinheitlichen Bonus System ist die Zahlung von Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und sonstigen Jahresabschlussvergütungen ausgeschlossen.
Grundkonzeption
Der Bonus wird zusätzlich zum Jahresgrundgehalt gezahlt. Der Bonus berechnet sich nach dem gezahlten Jahresgrundgehalt des zurückliegenden Geschäftsjahres und ist auf max. 26 % vom Jahresgrundgehalt begrenzt. Er wird nach Abschluss des Geschäftsjahres berechnet und ausgezahlt. Maßgeblich für die Berechnung sind ausschließlich die aktiven Beschäftigungszeiträume.
Grundsätzlich besteht der Bonus aus 2 Elementen:
Erstes Element: Basis ist die Zielerreichung von 3 - 5 individuellen Zielen, definiert in den Zielvereinbarungsgesprächen. Zu Beginn eines jeden Geschäftsjahres definiert der Vorgesetzte mit seinem Mitarbeiter gemeinsam Ziele, die stets auf die Erreichung der Unternehmensziele ausgerichtet sind. Diese Ziele müssen smart - spezifisch, messbar, anspruchsvoll, realistisch und terminiert sein.
Das Erreichen von 100 % der individuellen Ziele bedeutet einen Bonus in Höhe von 10 % des gezahlten Jahresgrundgehaltes.
Zweites Element: Basis für dieses Element ist der Grad der Zielerreichung der Unternehmensziele der C. E.-Gruppe.
100 % Zielerreichung beinhalten einen zusätzlichen 16%igen Bonus auf das gezahlte Jahresgrundgehalt.
Insgesamt können also bis zu 26 % des gezahlten Jahresgrundgehaltes als Bonusleistung erzielt werden."
Eine Vereinbarung über die individuellen Ziele der Parteien erfolgte (Anlage K3 = Blatt 34 der Akten). Insoweit erreichte die Klägerin einen Zielerreichungsgrad von 84,99 %, was einem Bonus von 5.663,27 € entspricht. Zu keinem Zeitpunkt wurden mit der Klägerin die unternehmerischen Ziele vereinbart.
Am 26.10.2021 veröffentlichte die Beklagte Unternehmensziele.
Mit Schreiben vom 16. Mai 2022 teilte der President E. & CEO, Herr F., allen bonusberechtigten Mitarbeitern mit, dass es für das Geschäftsjahr 2021 (= Kalenderjahr 2021) zu keiner Bonusauszahlung kommen wird.
Mit Bekanntmachung vom 20. Juli 2022 teilte die Beklagte ihren bonusberechtigten Mitarbeitern mit, dass es nach intensiven Gesprächen mit dem Shareholder, den Stakeholdern im US-Headquarter sowie den Betriebsräten doch zur Auszahlung eines anteiligen Bonus kommen wird. Die Kläge...