Entscheidungsstichwort (Thema)
Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO. Gerichtliche Überprüfung der Sozialauswahl auf grobe Fehler
Leitsatz (redaktionell)
1. Aufgrund der namentlichen Benennung des Klägers in der Namensliste des Interessenausgleichs wird nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO vermutet, dass die Kündigung vom 5. März 2021 durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen, bedingt ist.
2. Die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO erstreckt sich nicht nur auf den Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten des auf der Namensliste aufgeführten Arbeitnehmers zu unveränderten Bedingungen. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO umfasst auch die Vermutung, dass eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu veränderten Bedingungen im Beschäftigungsbetrieb nicht möglich ist.
3. Hinsichtlich der Einschätzung der tatsächlichen Verhältnisse ist den Betriebspartnern durch § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO ein weiter Beurteilungsspielraum eingeräumt. Insoweit ist die Sozialauswahl durch das Gericht nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen.
Normenkette
InsO § 125 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-2, § 113 S. 2, § 270b; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1, Abs. 5 S. 2, § 17; SGB IX §§ 168, 178 Abs. 2 S. 3; BetrVG § 102 Abs. 1, § 111 S. 3
Verfahrensgang
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 13.01.2022; Aktenzeichen 6 Ca 228/21) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 13. Januar 2022, Az. 6 Ca 228/21, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
Die Beklagte ist ein Kranhersteller. Sie beschäftigte in ihren zwei Werken am Standort Z. (Y.straße und X.) vor der Massenentlassung 1.536 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat. Der im Oktober 1980 geborene Kläger (verheiratet, Vater von vier unterhaltsberechtigten Kindern) war seit dem 1. Februar 2011 bei der Beklagten, zuletzt als Montageschlosser für All-Terrain-Cranes, beschäftigt. Er gehört mit einem Grad der Behinderung von 50 zum Personenkreis schwerbehinderter Menschen. Auf das Arbeitsverhältnis fanden aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung die Tarifverträge der pfälzischen Metall- und Elektroindustrie Anwendung. Der Kläger war in Entgeltgruppe 5 ERA eingruppiert.
Unter dem 8. Oktober 2020 beantragte die Beklagte die Eröffnung eines Schutzschirmverfahrens in Eigenverwaltung nach § 270b InsO. Mit Beschluss vom 8. Oktober 2020 (1 IN 52/20) hat das zuständige Amtsgericht Zweibrücken die vorläufige Eigenverwaltung im Schutzschirmverfahren angeordnet und WP/StB W. zum vorläufigen Sachwalter bestellt. Mit Beschluss vom 1. Januar 2021 hat das Amtsgericht das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet.
Nach Verhandlungen schloss die Beklagte am 4. Januar 2021 mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste, einen Insolvenzsozialplan sowie eine Betriebsvereinbarung zur Schaffung von Auffangstrukturen, die ua. die Errichtung einer Transfergesellschaft vorsah. Im Interessenausgleich wurden Umstrukturierungsmaßnahmen beschrieben, die zu einem Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten führten. Es wurden ua. 58 Versetzungen, 51 Änderungskündigungen sowie 392 Beendigungskündigungen geregelt. In der mit dem Interessenausgleich fest verbundenen Namensliste der Mitarbeiter, denen die betriebsbedingte Beendigungskündigung ausgesprochen werden sollte, findet sich auch der Name des Klägers. Der Kläger lehnte den angebotenen Übertritt in die Transfergesellschaft ab.
Mit Schreiben vom 5. Januar 2021 hörte die Beklagte sowohl den Betriebsrat als auch die Schwerbehindertenvertretung zu einer beabsichtigten betriebsbedingten ordentlichen Kündigung des Klägers mit der dreimonatigen Frist des § 113 Satz 2 InsO an. Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung stimmten der Kündigung mit Schreiben vom 11. Januar 2021 zu. Mit Formular und Begleitschreiben vom 11. Januar 2021 nebst Anlagen erstattete die Beklagte bei der zuständigen Agentur für Arbeit eine Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG, deren Eingang die Agentur am 11. Januar 2021 bestätigte. Mit Bescheid vom 26. Februar 2021 stimmte das zuständige Integrationsamt der beabsichtigten Kündigung zu. Nach Zugang des Zustimmungsbescheids hörte die Beklagte am 4. März 2021 Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung vorsorglich erneut an. Noch am 4. März 2021 nahmen beide Gremien abschließend Stellung und stimmten der Kündigung zu.
Mit Schreiben vom 5. März 2021, dem Kläger am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2021. Hiergegen erhob der Kläger rechtzeitig Kündigungsschutzklage.
Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
festzustellen, dass das bestehende Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 5. März 2021 zum 30. Juni 2021 sein Ende finden wird.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Von einer weitergehe...