Entscheidungsstichwort (Thema)
Anreizfunktion von Zielvereinbarungen. Keine Aufforderung zur neuen Zielvereinbarung bei Streit über die Zielvereinbarung der vergangenen Zeitperiode. Hypothetische Zielerreichung als Regelfall. Schadensersatz bei unterbliebener Zielvereinbarung. Entgangener Gewinn als Teil des Schadensersatzes. Schätzung des Schadens nach richterlichem Ermessen i.S.d. § 287 ZPO
Leitsatz (amtlich)
1. Vereinbaren die Parteien in einem Arbeitsvertrag einen Stichtag für den Abschluss einer Zielvereinbarung, ist dieser Termin zwingend einzuhalten, da er beide Parteien bindet und ausschlaggebend für die Anreizfunktion der Zielvereinbarung ist. Eine Zielvereinbarung, die bei Zielerreichung einen Anspruch des Arbeitnehmers auf einen Bonus begründet, kann entsprechend dem Leistungs- und Motivationsgedanken ihre Anreizfunktion nur erfüllen, wenn der Arbeitnehmer bereits bei der Ausübung seiner Tätigkeit die von ihm zu verfolgenden Ziele kennt und weiß, auf das Erreichen welcher persönlicher und/oder unternehmensbezogener Ziele der Arbeitgeber in dem jeweiligen Zeitraum besonderen Wert legt und deshalb bereit ist, bei Erreichen dieser Ziele den zugesagten Bonus zu zahlen.(Rn.42)
2. Streiten sich die Parteien bereits in einem Vorprozess über die Inhalte der Zielvereinbarung aus dem vorhergehenden Jahr, ist eine Aufforderung des Arbeitnehmers, mit ihm eine Zielvereinbarung für das laufende Jahr abzuschließen, entbehrlich.(Rn.55)
3. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen. Solche besonderen Umstände hat der Arbeitgeber darzutun und gegebenenfalls zu beweisen.(Rn.53)
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Arbeitgeber kann bei einer nicht abgeschlossenen Zielvereinbarung nach Ablauf der Zielperiode verpflichtet sein, dem Arbeitnehmer wegen der entgangenen Vergütung Schadensersatz zu leisten. Die Festlegung von Zielen wird jedenfalls mit Ablauf der Zielperiode unmöglich im Sinne von § 275 Abs. 1 BGB.
2. Nach § 252 Satz 1 BGB umfasst der zu ersetzende Schaden auch den entgangenen Gewinn. Dazu gehört auch entgangener Verdienst aus abhängiger Arbeit und damit auch eine Tantiemenzahlung. Als entgangen gilt gemäß § 252 Satz 2 BGB der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.
3. Dem Anwendungsbereich des § 287 Abs. 1 ZPO unterliegen sowohl die Feststellung des Schadens als auch dessen Höhe nach richterlichem Ermessen. Das Gesetz nimmt in Kauf, dass das Ergebnis der Schätzung mit der Wirklichkeit vielfach nicht übereinstimmt. Allerdings soll die Schätzung möglichst nahe an diese heranführen.
Orientierungssatz
Orientierungssätze:
(Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt unter dem Aktenzeichen 10 AZN 665/23)
Normenkette
BGB § 283 S. 1, §§ 252, 275 Abs. 1, § 280 Abs. 1, 3; ZPO §§ 286-287
Verfahrensgang
BAG (Entscheidung vom 11.09.2023; Aktenzeichen 10 AZN 665/23) |
ArbG Lübeck (Entscheidung vom 29.06.2022; Aktenzeichen 5 Ca 646/22) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 29.06.2022 - 5 Ca 646/22 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger macht gegenüber der Beklagten die Zahlung von 63.000,00 € weiterer Tantieme für das Kalenderjahr 2021 im Wege des Schadensersatzanspruchs wegen unterbliebener Zielvereinbarung geltend.
Der am ....1963 geborene Kläger steht seit 01.10.2006 bei der Beklagten in einem Arbeitsverhältnis, zunächst auf Grundlage des Arbeitsvertrages gem. Anlage K1 (Bl. 11 ff. d. A.). Mit Änderung des Arbeitsvertrages vom 22.07.2019 (Anlage K2, Bl. 34 ff. d. A.) übertrug die Beklagte dem Kläger die Position des Chefarztes der Klinik für diagnostische und interventionelle Radiologie und Neuroradiologie. In § 8 Abs. 2 des ursprünglichen Arbeitsvertrages ist geregelt, dass der Kläger neben seiner Vergütung eine erfolgsabhängige, nicht zusatzversorgungspflichtige Tantieme gemäß einer Tantiemen-Vereinbarung erhält. Weiter heißt es in § 8 Abs. 2 des Arbeitsvertrages:
"Der Arzt erhält ferner eine erfolgsabhängige, nicht zusatzversorgungspflichtige Tantieme gem. der als Anlage 1 beigefügten Tantiemevereinbarung.
Für die Berechnung der Tantieme nach Anlage 1 sind die gemeinsam durch Kaufmännische Leitung und Ärztliche Leitung der Klinik festgelegten Planzahlen für das Krankenhaus maßgebend. Das Betriebsergebnis der Klinik wird nach stets gleichbleibenden handelsrechtlichen Grundsätzen ermittelt. Maßgebend ist das ebenfalls der Anlage 1 beigefügte Berechnungsschema.
Soweit das Betriebsergebnis durch außerordentliche und einmalige Aufwendungen oder Erträge beeinflusst ist, deren Entstehen oder Höhe der Arzt nicht zu vertreten hat, ist das Betriebsergebnis um diese Positionen zu korrigieren. Zu diesem Zweck wird die Klinik dem Mitarbeiter einen Vorschlag unterbreiten, hinsichtlich welcher Po...