Entscheidungsstichwort (Thema)

Versicherungspflicht bzw -freiheit. Geschäftsführer. Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbstständigen Tätigkeit bei Rechtsanwälten, die als gleichberechtigte Gesellschafter-Geschäftsführer einer Rechtsanwaltsgesellschaft tätig sind

 

Orientierungssatz

Zur sozialversicherungsrechtlichen Statusbeurteilung bei Rechtsanwälten, die als gleichberechtigte Gesellschafter-Geschäftsführer einer Rechtsanwaltsgesellschaft tätig sind.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 28.06.2022; Aktenzeichen B 12 R 4/20 R)

 

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 15. Februar 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Kläger sind Rechtsanwälte. Sie streiten mit der Beklagten über die Frage, ob ihre Tätigkeit in einer Rechtsanwalts-GmbH als Beschäftigung der Sozialversicherungspflicht unterliegt.

Die fünf Kläger gründeten am 28. Dezember 2011 notariell beurkundet die H. Rechtsanwalts-GmbH (Beigeladene) und beschlossen deren Satzung. Gegenstand der Gesellschaft ist laut § 3 Nr. 1 der Satzung die Übernahme und die Ausführung von Anwaltsaufträgen, insbesondere die Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten und alle damit im Zusammenhang stehenden Geschäfte, die durch in Diensten der Gesellschaft stehende, zugelassene Rechtsanwälte unabhängig, weisungsfrei und eigenverantwortlich unter Beachtung ihres Berufsrechts ausgeführt werden. Das Stammkapital der Gesellschaft wurde gemäß § 4 des Gesellschaftsvertrages zu je einem Fünftel von den fünf Klägern aufgebracht. Gemäß § 6 Nr. 2 der Satzung wird die Gesellschaft durch zwei Geschäftsführer gemeinsam oder durch einen Geschäftsführer gemeinsam mit einem Prokuristen vertreten, sofern mehrere Geschäftsführer vorhanden sind. Die Geschäftsführer werden gemäß § 6 Nr. 3 der Satzung durch Gesellschafterbeschluss bestellt und abberufen. Beschlüsse der Gesellschafterversammlung werden gemäß § 8 Nr. 3 der Satzung mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, wenn Gesetz oder Satzung nicht eine höhere Mehrheit vorschreiben. Jeder Geschäftsanteil gewährt eine Stimme. Gemäß § 8 Nr. 4 der Satzung bedürfen Beschlüsse über Änderungen des Gesellschaftsvertrages, Auflösung der Gesellschaft, Zustimmung zur Verfügung über einen Geschäftsanteil gemäß § 11 der Satzung und Kapitalerhöhung bzw. Kapitalherabsetzung einer Mehrheit von 100 %.

In ihrer ersten Gesellschafterversammlung noch am 28. Dezember 2011 beschlossen die Gesellschafter die Bestellung aller fünf Kläger jeweils zu Geschäftsführern der Gesellschaft unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB. Am 30. Dezember 2011 schloss die Gesellschaft mit allen fünf Klägern jeweils Geschäftsführungsverträge. Hiernach sind die Geschäftsführer in allen Angelegenheiten der Mandatsführung jeweils allein zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt. § 3 Nr. 3 der Geschäftsführungsverträge sieht Zustimmungsvorbehalte der Gesellschafterversammlung für eine Reihe von Angelegenheiten außerhalb der eigentlichen Mandatsführung vor. Gemäß § 4 der Geschäftsführungsverträge erhalten die Geschäftsführer als Vergütung jeweils ein Monatsgehalt von brutto 6.500,00 € zuzüglich eines 13. Monatsgehalts und eine gewinnabhängige Vergütung (Tantieme) in Höhe von 10 % des tantiemepflichtigen Gewinns der Gesellschaft. Ferner wurden ein Anspruch auf Weiterzahlung der Vergütung bei Arbeitsunfähigkeit für die Dauer von 6 Monaten sowie ein Jahresurlaub von 30 Arbeitstagen vereinbart (§§ 4 und 5 der Geschäftsführerverträge).

Am 27. Oktober 2014 hielten die Kläger erneut eine Gesellschafterversammlung ab und erklärten notariell beurkundet im Hinblick auf das Ausscheiden des Klägers Ziff. 4 aus der Gesellschaft dessen Abberufung als Geschäftsführer zum 31. Dezember 2014 und die Übernahme seiner Geschäftsanteile zu jeweils gleichen Teilen durch die weiteren Kläger. Zugleich vereinbarten sie die Aufhebung des Geschäftsführerdienstvertrages mit dem Kläger Ziff. 4 unter Gewährung einer Abfindung für den „Verlust des Arbeitsplatzes“ in Höhe von 60.000,00 €.

Am 5. Oktober 2015 beantragten die Kläger bei der Beklagten die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status ihrer am 1. Januar 2012 aufgenommenen Tätigkeiten für die Beigeladene mit dem Ziel der Feststellung einer selbständigen Tätigkeit. Nach Anhörung der Beteiligten zur beabsichtigten Feststellung einer abhängigen Beschäftigung stellte die Beklagte mit Bescheiden vom 14. Dezember 2015 gegenüber jedem einzelnen Kläger sowie gegenüber der Beigeladenen jeweils fest, die Tätigkeit der Kläger als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Beigeladenen seit dem 1. Januar 2012 - hinsichtlich Kläger Ziff. 4 bis 31. Dezember 2014 - werde im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt. In dem Beschäftigungsverhältnis bestehe Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Die Versicherungspflicht beginne am 1. Januar 2012. In de...

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