Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarzt. Einheitlicher Bewertungsmaßstab. Ausnahmegenehmigung von Teilbudgetierung (hier: Gesprächsleistungen). kein Beurteilungsspielraum der Kassenärztlichen Vereinigung
Orientierungssatz
1. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung bezüglich des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (hier: Gesprächsleistung) können nur Praxen mit spezieller Ausrichtung erfüllen, die Sonderbedarfsleistungen erbringen, wegen dieser Sonderbedarfsleistungen nicht den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf andere ärztliche Leistungen verlagern können und für die die Auswirkungen der Teilbudgetierung zu einer nicht vertretbaren Härte führen würde. Nicht ausreichend ist es, wenn der Arzt eine der Teilbudgetierung unterliegende Leistung nur überdurchschnittlich oft abrechnet.
2. Bei der Feststellung der Voraussetzungen für eine Ausnahme nach Nr 4 der Vereinbarung zum Einheitlichen Bewertungsmaßstab steht den Kassenärztlichen Vereinigungen kein Beurteilungsspielraum zu, weshalb ihre Entscheidungen in vollem Umfang von den Gerichten überprüft werden können.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerinnen Anspruch auf Ausnahme von der Teilbudgetierung für Gesprächsleistungen nach Nr. 851 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) haben.
Die Klägerinnen sind als Praktische Ärztinnen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie üben ihre Praxis in Gemeinschaftspraxis aus. Mit Schreiben vom 05.11.1996 beantragten sie, ihre Praxis ab dem ersten Quartal 1996 mit dem Versorgungsschwerpunkt Psychosomatik zuzulassen. Sie arbeiteten seit Jahren konstant psychosomatisch, ca. 40% ihrer Patienten litten unter psychosomatischen Krankheiten. Mit Schreiben vom 21.11.1996 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. Ab 01.07.1996 sei eine fallzahlabhängige arztgruppenbezogene Teilbudgetierung für einzelne Leistungsbereiche verbindlich eingeführt. Ausnahmen hiervon seien nur zulässig, wenn sie aus Gründen der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zwingend erforderlich seien. Dies sei hier nicht der Fall. Auch nach Ablehnung dieses Antrags sei davon auszugehen, daß die Versicherten in allen Gebieten Nord-Württembergs ohne zumutbaren Aufwand die erforderliche vertragsärztliche Versorgung auch im Hinblick auf die von den Klägerinnen genannten Leistungen erhielten. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 18.12.1996 zurück. Zwar bestehe nunmehr die Möglichkeit, bei Vorliegen eines entsprechenden Versorgungsschwerpunkts Ausnahmen von der Budgetierung von Leistungen nach GNR 851 EBM zu machen. Es werde nicht verkannt, daß die Betreuung psychosomatisch erkrankter Patienten die Notwendigkeit der Erbringung psychiatrischer Gesprächsleistungen in erhöhtem Umfang mit sich bringen könne. Eine gewisse Beschränkung der in Rede stehenden Leistungen in der Praxis der Ärztinnen würde die ausreichende vertragsärztliche Versorgung in diesem Bereich jedoch keineswegs in Frage stellen. Diese Gesprächsleistungen könnten in gewissem Umfang von anderen Ärzten, etwa Nervenärzten, erbracht werden.
Hiergegen haben die Klägerinnen am 16.01.1997 bei dem Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben. Sie haben zur Begründung vorgetragen, sie seien schwerpunktmäßig psychosomatisch tätig. Sie behandelten nicht nur eigene Patienten mit psychosomatischen Krankheitsbildern, ihnen würden auch von anderen Ärzten aufgrund ihrer speziellen Praxisausrichtung gezielt Patienten mit psychosomatischen Krankheitsbildern überwiesen. Mit ihrer Praxis schlössen sie eine Lücke in der vertragsärztlichen Versorgung. Vergleichbare Therapieangebote existierten im vorderen R Kreis nicht. Während der durchschnittliche Anteil psychosomatischer Patienten in einer vertragsärztlichen Praxis bei ca. 10% liege, belaufe er sich in ihrer Praxis in den Quartalen 3/96 und 4/96 auf 40%. Erhöht werde die Zahl psychosomatischer Leistungen dadurch, daß sie aufgrund einer Spezialausbildung in stark erhöhtem Umfang onkologische Patienten betreuten. Diese Patienten benötigten immer auch eine psychosomatische Betreuung. Die Budgetierung führe dazu, daß sie die Leistungen nach GNR 851 EBM kaum noch vergütet erhielten. Diese Honorarverluste könnten sie nicht kompensieren. Die Alternative bestehe darin, die Praxis völlig umzustrukturieren und auf andere Leistungen auszurichten. Mit der Teilbudgetierung habe die "Anbietervielfalt" nicht eingeschränkt werden sollen. Die Teilbudgetierungsregelungen hätten berufseinschränkende Wirkung. Sie seien nur verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn sie entsprechend großzügig ausgelegt würden. Die KV Nord-Württemberg habe den ihr durch die ergänzende Vereinbarung vom 25.10.1996 gebotenen Spielraum nicht erkannt und sei dem Grundgedanken dieser Vereinbarung nicht gefolgt. Auf eine Existenzgefährdung komme es in diesem Zusammenhang nicht an. Ihnen müsse mindestens die Möglichkeit gegeben werden, die Leistungen kostendeckend oder mit Gewinn zu erwirtschaften. Ihr Honorarvolumen sei um ca. 6% im Verhältnis zum Quarta...