Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsverteilung bei Kollision eines Fahrzeugs mit einem infolge eines vorangegangenen Unfalls (Erstunfall) liegengebliebenen Fahrzeugs (Zweitunfall); Schadensbemessung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein am Straßenrand stehendes Fahrzeug, bei dem das Warnblinklicht eingeschaltet ist, muss ein sich annähernder Fahrzeugführer zum Anlass nehmen, besonders aufmerksam zu sein, ggf. seine Fahrgeschwindigkeit zu reduzieren und sich ggf. weiter reaktions-, also insbesondere bremsbereit zu halten (vgl. Senat, Urteil vom 22. Januar 2020 - 14 U 150/19 -, Rn. 59, juris).

2. Ein Kraftfahrer hat gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 S. 4 StVO seine Fahrweise so einzurichten, dass er auch in der Dunkelheit vor auf der Straße liegengebliebenen Kraftfahrzeugen, mögen sie auch unbeleuchtet sein, rechtzeitig anhalten kann (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 23. Juni 1987 - VI ZR 188/86, Rn. 13, juris [unbeleuchteter Panzer mit Tarnanstrich]; BGH, Urteil vom 08. Dezember 1987 - VI ZR 82/87, Rn. 11, juris; Senat, Urteil vom 22. Januar 2020 - 14 U 150/19 -, Rn. 69, 71, juris).

3. Der zu einem Unfall (Erstunfall) führende Verkehrsverstoß ist - sofern die übrigen Voraussetzungen der Haftung vorliegen - im Rahmen der nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG vorzunehmenden Abwägung der Verursachungsbeiträge der Beteiligten eines nachfolgenden Unfalls (Zweitunfall) zu berücksichtigen.

4. Kommt es im Kreuzungsbereich infolge des Verstoßes eines Verkehrsteilnehmers gegen § 9 Abs. 3 S. 1 StVO zu einem Unfall, verlässt der Unfallverursacher sein mittig auf der Kreuzung liegengebliebenes Fahrzeug, ohne Einschalten des Warnblinklichts (§ 15 S. 1 StVO), und kommt es sodann zur Kollision eines nachfolgenden, mit überhöhter Geschwindigkeit fahrenden und gegen das Sichtfahrgebot verstoßenden oder unaufmerksamen Verkehrsteilnehmers mit dem liegengebliebenen Fahrzeug des Erstunfalls, kann die Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge zwischen den beiden schuldhaft handelnden Verkehrsteilnehmern eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten desjenigen ergeben, der den Erstunfall verursacht hat (Abgrenzung zu Senat, Urteil vom 22. Januar 2020 - 14 U 150/19 -, juris).

5. Der Geschädigte muss einen rechtzeitigen unbedingten Reparaturauftrag darlegen und beweisen, um mit Erfolg einen Nutzungsausfallschaden für den gesamten Zeitraum, in dem sich das Fahrzeug in der Werkstatt befindet, geltend machen zu können.

6. Bei einem Unfall beschädigte Gegenstände wie z.B. eine Brille und eine Jacke unterliegen der Abnutzung, weshalb bei der Schadensbemessung ein Abzug neu für alt vorzunehmen ist. In solchen Fällen ist die Nutzungsdauer zu schätzen und in der Regel eine lineare Abschreibung vorzunehmen.

 

Normenkette

BGB § 253; StVG §§ 7, 17-18; StVO §§ 1, 3, 9, 15; ZPO § 287

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 10.02.2020; Aktenzeichen 12 O 179/16)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 10. Februar 2020 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 12. Zivilkammer des Landgerichts Hannover ≪12 O 179/16≫ teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 19.133,68 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23. März 2016 zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger weitere 400 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11. August 2016 zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten an den Kläger in Höhe von 150,00 Euro und an die R. Rechtsschutz-Versicherungs-AG, ..., zur Schadens-Nr. ... (Vers.-Nr. ...) in Höhe von 1.672,96 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.08.2016 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 42 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 58 %; die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 25 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 75 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 25.644,54 Euro (Berufung: 10.883,83 EUR, Anschlussberufung: 14.760,71 EUR) festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger macht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem er verletzt und sein Fahrzeug beschädigt wurde.

Am 08. November 2015 gegen 20:40 Uhr kam es in B. M. auf der Kreuzung Bundesstraße ... / H. Straße / Landesstraße ... zunächst zu einer Kollision des Beklagt...

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