Leitsatz (amtlich)
1. Auch bei vorhandener Einwilligungsfähigkeit in eine Corona-Schutzimpfung bei einem fast 16-jährigen Kind iSd § 630d BGB bedarf es eines Co-Konsenses mit den sorgeberechtigten Eltern. Können diese sich in dieser Frage nicht einigen, ist eine Entscheidung nach § 1628 BGB herbeizuführen.
2. Die Entscheidung über die Durchführung der Corona-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff ist bei einer vorhandenen Empfehlung der Impfung durch die Ständige Impfkommission (STIKO) und bei einem die Impfung befürwortenden Kindeswillen auf denjenigen Elternteil zu übertragen, der die Impfung befürwortet.
Verfahrensgang
AG Bensheim (Aktenzeichen 71 F 257/21 EASO) |
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Beschwerdewert wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt. Unter Abänderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung wird der Verfahrenswert für die erste Instanz auf ebenfalls 2.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die voneinander geschiedenen Eltern, welche das gemeinsame Sorgerecht für ihren am 05.09.2005 geborenen Sohn X. ausüben, streiten darüber, ob ihr gemeinsamer Sohn gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 geimpft werden soll. Eine zunächst für den 10.06.2021 bei der Hausärztin des Kindes geplante Impfung musste abgesagt werden, nachdem die Beschwerdeführerin der Ärztin mitgeteilt hatte, mit der Impfung nicht einverstanden zu sein. Das Kind lebt überwiegend im Haushalt der Beschwerdeführerin. Der Antragsteller und Kindesvater befürwortet dagegen die Impfung des gemeinsamen Sohnes.
Mit Schreiben vom 10.06.2021 hat der Kindesvater beantragt, im Wege einer Eilentscheidung ihm die alleinige Befugnis zur Entscheidung über die Impfung seines Sohnes zu übertragen. Er hat zu seinem Antrag eine ärztliche Bescheinigung der Hausärztin Frau Dr. XX vom 14.06.2021 beigefügt, nach der bei X. eine eindeutige medizinische Indikation für eine Impfung mit einem mRNA-Impfstoff bestehe, um einen schwerwiegenden Verlauf einer COVID-Erkrankung aufgrund der bestehenden Adipositas und rez. depressiver Episoden zu vermeiden. Desweiteren sei X. selbst voll entscheidungsfähig und könne die Tragweite einer solchen Erkrankung überblicken und wünsche darüber hinaus ausdrücklich die Impfung.
Die Kindesmutter ist der Impfung ihres Sohnes entgegengetreten. Nach ihrer Einschätzung sei die Impfung mit dem Präparat von Biontech Pfizer eine "Gentherapie". Es sei im Übrigen noch nicht hinreichend geklärt, ob X. bereits durch eine vorgegangene Infektion immunisiert worden sei. Eine Impfung sei auch deswegen nicht erforderlich, weil in der Gesellschaft Ende Juli 2021 bereits annähernd eine Herdenimmunität eingetreten sei. Außerdem sei eine Impfung mit dem Impfstoff von Biontech Pfizer deshalb nicht mehr nützlich, weil diese nicht gegen alle Varianten wirksam sei, vor allem gegen die sog. Delta-Variante des SARS-CoV-2-Virus. Die Impfung mit einem mRNA-Impfstoff führe im Übrigen zu mehr Todesfällen, als eine Erkrankung an SARS-CoV-2. Des Weiteren sei X. weder hinreichend vom Kindesvater noch von seiner Hausärztin umfassend über die Risiken der "Gentherapie" aufgeklärt worden. Schließlich verstoße die Anwendung der "Gentherapie" gegen den sog. Nürnberger Kodex 1947, aus dem folge, dass die freiwillige Zustimmung der "Versuchsperson" unbedingt erforderlich sei. Bei der Impfung handele es sich auch um einen Medikamentenversuch, da insoweit keine abgeschlossenen Studien über etwaige Risiken vorliegen würden. Es bestehe die Gefahr, dass die "Gentherapie" zu einer Reprogrammierung der Immunantwort des eigenen Körpers führe sowie zu einer Überreaktion des Körpers, falls er mit einem Virus in Kontakt komme. Auch sei zu befürchten, dass die Wirkstoffe der "Gentherapie" in erheblichem Maße verunreinigt seien. Weiterhin bestehe die Gefahr, dass die Impfung zu einer Unfruchtbarkeit führe oder aber Blutgerinnsel verursachen könne. All diese Fragen sind nach Einschätzung der Kindesmutter durch Einholung von Sachverständigengutachten aufzuklären.
Das Amtsgericht hat ein Verfahren der einstweiligen Anordnung eingeleitet und für das betroffene Kind einen Verfahrensbeistand bestellt. Der Verfahrensbeistand hat in seinem Bericht vom 17.06.2021 ausgeführt, dass die Kindesmutter das Kind am 08.06.2021 dazu veranlasst habe, per Zoom eine Mediatorin zu kontaktieren, welche ihm Informationen zu dem Corona Virus, und der Entwicklungsmethoden betreffend die einzelnen Impfstoffe erteilt habe. Gleichwohl habe X. an seinem Wunsch festgehalten, geimpft zu werden.
Das Amtsgericht hat X. am 22.06.2021 im Beisein des Verfahrensbeistands persönlich angehört. Er hat dabei bekräftigt, geimpft werden zu wollen. Als Gründe hierfür hat er angegeben, dass er seine Eltern und sich selbst schützen wolle. Seine Eltern seien Risikopatienten aufgrund ihres Bluthochdrucks. Zudem wolle er, sollte es zu einem erneuten Lockdown kommen, ohne Test einkaufen und zum Frisör gehen. Auch angesichts zweier in den Sommerferien geplanter Urlaube mit den Eltern, we...