Leitsatz (amtlich)
Zur Beweislast für die Frage, ob ein schädigendes Ereignis auf einer Handlung i.S.d. Deliktsrechts oder auf einem reflektorischen, unbewussten Geschehen beruht
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Limburg a.d. Lahn (Urteil vom 11.03.2004; Aktenzeichen 1 O 59/02) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 11.3.2004 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Limburg abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.2.2002 zu zahlen. Wegen der weiter gehenden Zinsforderung wird die Klage abgewiesen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen künftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Ereignis vom 21.11.2000 in O1 in der ...-Straße zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert: 10.225,84 EUR.
Gründe
1. Der Kläger verlangt von dem Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen einer Verletzung, die er sich am 21.11.2000 bei der Ausübung des Polizeidienstes zuzog.
Am 21.11.2000 war der Beklagte als Führer eines Kraftfahrzeugs an einem Verkehrsunfall in O1, ...-Straße, beteiligt. Weil die hinzugezogene Polizei bei ihm Alkoholgeruch feststellte - die später entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,34 o/oo und maximal 2,67 o/oo - sollte sich der Beklagte einem Alkoholtest unterziehen. Noch während der Untersuchungen an der Unfallstelle flüchtete der Beklagte, indem er zu Fuß wegrannte. Nach etwa 200 Metern wurde er von dem Polizeibeamten P1 eingeholt, der ihm ein Bein stellte und dadurch zu Fall brachte. Gemeinsam mit dem Polizeibeamten P1 hob der Kläger den Beklagten vom Boden auf, um ihn zum Streifenfahrzeug zu bringen. Nach wenigen Metern stürzte der sowohl vom Kläger als auch dem Polizeibeamten P1 gestützte Beklagte und fiel unter im Einzelnen umstrittenen Umständen auf den Boden, wobei sein Körper, der bei einer Größe von 1,93 Metern etwa 140 kg Gewicht hatte, auf das linke Bein des Klägers zu liegen kam. Der Kläger erlitt eine Tibiakopffraktur lateral links Typ C 2, die im Kreiskrankenhaus O1 stationär behandelt wurde. Der Kläger war bis April 2002 dienstunfähig und wurde mit Ablauf des 30.4.2002 in den Ruhestand versetzt.
Der Kläger hat behauptet, der Beklagte sei handlungs- und steuerungsfähig gewesen. Um sich den gegen ihn gerichteten Ermittlungen zu entziehen, habe er sich ohne Vorankündigung mit seinem gesamten Körpergewicht nach rechts auf das linke Bein des Klägers fallen lassen. Der Kläger hat sich wegen der erlittenen Verletzungen auf den Entlassungsbericht des Klinikums O1 vom 15.1.2001 (Bl. 17 ff.) bezogen und behauptet, er sei in O1 bis zum 11.12.2000 vier mal operiert worden. Ferner habe sich bei ihm verletzungsbedingt eine posttraumatische Angstsymptomatik, verbunden mit einer reaktiven Depression, eingestellt. Hierdurch sei seine Dienstunfähigkeit verursacht worden.
Der Kläger hat beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld für den Zeitraum bis zur letzten mündlichen Verhandlung nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. Diskontsatzüberleitungsgesetz seit dem 8.6.2001 zu zahlen,
2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen immateriellen Schäden - letztere, soweit sie nach der letzten mündlichen Verhandlung entstehen - aus dem schädigenden Ereignis vom 21.11.2000 in O1 in der ...-Straße zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat behauptet, nicht mitbekommen zu haben, erneut umgefallen zu sein, nachdem ihm Handschellen angelegt worden waren und er wieder auf seine Füße gestellt worden war. Er habe sich nicht bewusst fallen lassen. Wenn er umgefallen sei, beruhe das auf einer Bewegung, die er nicht habe steuern können und nicht auf einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Handlung.
Das LG hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Polizeibeamten P1 als Zeuge und durch Einholung eines gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 13.2.2003 (Bl. 74 bis 77 d.A.), das rechtsmedizinische Gutachten der Sachverständigen S1 vom 13.8.2003 (Bl. 97 bis 101 d.A.) sowie auf die mündlichen Erläuterungen der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung am 12.2.2004 (Bl. 111 bis 113 d.A.) Bezug genommen. Das LG hat die Klage durch am 11.3.2004 verkündetes Urteil abgewiesen, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht ausgeschlossen werden könne, dass der schadensstiftende Stutz auf ein unbewusstes Geschehen und damit weder auf eine vorsätzliche noch auf eine fahrlässige Handlung zurück...