Leitsatz (amtlich)
Für die Feststellung des Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis (§ 24a Abs. 2 StVG) reicht es nach dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis aus, wenn bei einer Blutuntersuchung auf THC im Blutserum, welche den von der Grenzwertkommission vorausgesetzten Qualitätsstandards genügt, ein Messergebnis ermittelt wird, welches den von der Grenzwertkommission empfohlenen analytischen Grenzwert von 1 ng/ml THC im Serum erreicht; Zuschläge für Messungenauigkeiten sind dabei nicht erforderlich. Eine tatsächliche Wirkung des Rauschmittels im Sinne einer konkreten Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit bei dem Betroffenen im Einzelfall festgestellt und nachgewiesen wird.
Verfahrensgang
AG Soest (Entscheidung vom 04.05.2010; Aktenzeichen 21 OWi 180 Js 1164/09 (513/09)) |
GStA Hamm (Aktenzeichen 6 Ss OWi 878/10) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird auf dessen Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Soest hat den Betroffenen mit Urteil vom 04. Mai 2010 wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter Einfluss eines berauschenden Mittels zu einer Geldbuße von 500,00 Euro verurteilt sowie ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats mit der Maßgabe nach § 25 Abs. 2 a StVG festgesetzt.
Hiergegen richtet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, die er unter näheren Ausführungen mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung des Rechtsmittels beantragt.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte und gemäß §§ 341 Abs. 1, 345 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist zwar zulässig, kann in der Sache jedoch keinen Erfolg haben.
1.
Die Rüge der Verletzung formellen Rechts erweist sich bereits als unzulässig, weil sie den gemäß § 344 Abs. 2 StPO an ihren Inhalt zu stellenden Anforderungen nicht genügt und - worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend hingewiesen hat - bereits die Angriffsrichtung nicht klar erkennen lässt.
2.
Die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des angefochtenen Urteils führt nicht zur Aufdeckung eines Rechtsfehlers zum Nachteil des Betroffenen.
Gemäß § 24 a Abs. 2 Satz 1 StVG handelt ordnungswidrig, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels - hier Cannabis - im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Eine solche Wirkung liegt gem. § 24 a Abs. 2 Satz 1 StVG vor, wenn eine in dieser Anlage genannte Substanz - bei Cannabis Tetrahydrocannabinol - im Blut nachgewiesen wird. Diese Regelung beruht auf der gesetzgeberischen Vorstellung, dass die Wirkungs- und Nachweis-dauer bei den einzelnen Mitteln übereinstimmen und daher bei jedem blutanalyti-schen Nachweis die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Kraftfahrzeugführers gegeben ist (vgl. BT-Drucksache 13/3764 S. 4 ff). Infolge der zwischenzeitlich erheblich verbesserten Nachweismöglichkeiten für Tetrahydro-cannabinol ist die Annahme einer Übereinstimmung von Nachweis- und Wirkungs-dauer indes nicht mehr gerechtfertigt (vgl. hierzu BVerfG NJW 2005, 349, Beschluss vom 21. Dezember 2004 - 1 BvR 2652/03). Das hat zur Folge, dass nicht mehr jeder Nachweis von Tetrahydrocannabinol im Blut eines Kraftfahrers für eine Verurteilung nach § 24 a Abs. 2 StVG ausreicht. Zur Bejahung des objektiven Tatbestandsmerk-mals des Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung von Cannabis muss bei verfassungskonformer Auslegung des § 24 a Abs. 2 StVG vielmehr eine Tetrahydrocannabinolkonzentration festgestellt werden, die es entsprechend dem Charakter der Vorschrift als eines abstrakten Gefährdungsdelikts als möglich erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war (vgl. BVerfG a.a.O.). Das wird in der Wissenschaft zum Teil erst ab dem von der Grenzwertkommission in ihrem Beschluss zu § 24 a Abs. 2 StVG vom 20. November 2002 angegebenen "Grenzwert von 1 ng/ml" angenommen (BVerfG a.a.O..). Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 21. Dezember 2004 keinen bestimmten Grenzwert vorgegeben, sondern lediglich klargestellt, dass der Wirkstoffnachweis ab bestimmten (Mindest)Werten den Rückschluss erlaubt, der Täter habe bei der Teilnahme am Straßenverkehr unter der tatbestandlich relevanten Wirkung des Rauschmittels gestanden.
Die Arbeitsgruppe für Grenzfragen und Qualitätskontrolle der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin und der Gesellschaft für Forensische und Toxikologische Chemie, die sog. Grenzwertkommission, hat im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in ihrer Sitzung vom 24. Oktober 2005 durch einstimmigen Beschluss bekundet, dass die 1 ng/ml-Grenze für THC als "Entscheidungsgrenze" anzusehen sei, die unter der Voraussetzung geeigneter Nachweisverfahren auch...