Leitsatz (amtlich)
Der Entlastung eines Tierhalters, der wegen eines Verkehrsunfalls durch eine entlaufene Kuh auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird, steht die mangelnde Darlegung und Aufklärung, auf welche Weise das von der umzäunten Weide abgängige Tier entkommen konnte, entgegen.
Der konkrete Nachweis eines unverschuldeten Ausbruchs ist nur geführt, wenn die vom Tierhalter unternommenen Sicherungsmaßnahmen geeignet waren, alle vernünftigerweise denkbaren Ausbruchsmöglichkeiten auszuschließen.
Verfahrensgang
LG Paderborn (Beschluss vom 09.09.2005; Aktenzeichen 3 O 187/05) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Paderborn vom 29.8.2005 - nicht abgeholfen durch Beschl. v. 9.9.2005 - wird zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Beschwerdeführer auferlegt, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Tatbestand
Der Kläger nimmt den beklagten Landwirt auf Ersatz seines Fahrzeugschadens aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, bei dem eine vom Beklagten gehaltene Milchkuh auf die Fahrbahn der in der Nähe der Weide verlaufenden Straße gelangt und dort mit dem Pkw des klägers kollidiert war. Der Beklagte begehrt mit der Beschwerde nach nur teilweiser Bewilligung volle Prozesskostenhilfe für die erstrebte vollständige Abweisung der Klage. Diese will er mit der unter Zeugenbeweis gestellten Behauptung erreichen, die weide sei umfassend mit einem mindestens 130 cm hohen Stacheldrahtzaun umschlossen gewesen.
Entscheidungsgründe
Die gem. § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthafte und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist nicht begründet.
Das LG hat dem Beklagten zu Recht die begehrte Prozesskostenhilfe für seine Verteidigung gegen die Schadensersatzklage nur bewilligt, soweit diese in der Hauptsache über den Betrag von 5.466,39 EUR (die Hälfte der KlageForderung) hinausgeht. Für seine weiter gehende Rechtsverteidigung besteht keine hinreichende Erfolgsaussicht i.S.v. § 114 ZPO.
Der Beklagte kann den - ihm als Halter von Nutztieren allerdings offen stehenden - Entlastungsbeweis gem. § 833 S. 2 BGB nicht führen, weil er die Einhaltung der verkehrserforderlichen Sorgfalt bei der Beaufsichtigung der hier schadenstiftenden Kuh nicht ausreichend vorgetragen und unter Beweis gestellt hat.
Es kann offen bleiben, ob dem Beklagten für den Entlastungsbeweis gem. § 833 S. 2 BGB der Vortrag und Beweis abverlangt werden kann, auf welche andere Weise die Kuh trotz Einzäunung der Weide durchgängig mit mindestens 130 cm hohem, vierfachen Stacheldraht ohne sein Verschulden entlaufen ist. Ob in Fällen der Schadensverursachung durch ein entwichenes Weidetier der Vortrag, auf welche konkrete Weise das Tier die Sicherungsmaßnahmen überwunden hat, zum Entlastungsbeweis gehört, ist umstritten (Palandt/Sprau, BGB, 64. Aufl., § 833 Rz. 22; dagegen LG Köln v. 18.7.2001 - 9 S 312/00, NJW-RR 2001, 1606; einer Anm. Wussow zu LG Frankfurt VersR 1970, 382 f. folgend; Staudinger/Belling/Eberl/Borges, BGB, 2001, § 833 Rz. 146). Es entspricht aber der zumindest bis zu den vorstehend zitierten Gegenstimmen einhelligen Auffassung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur, dass das Unterbleiben der Aufklärung irgendeines für die Entlastung des Tierhalters maßgeblichen Umstandes, namentlich wie ein Tier aus einer umzäunten Weide herausgekommen ist, zu dessen Lasten geht (vgl. nur Baumgärtel, Handbuch der Beweislast, 2. Aufl., § 833 BGB Rz. 10; BGH VersR 1956, 127; VersR 1965, 719 f.; OLG Celle VersR 1975, 665; OLG Frankfurt VersR 1982, 908; LG Frankfurt VersR 1982, 382). Mit der Begründung seines Nichtabhilfebeschlusses bewegt sich das LG im vorliegenden Fall mithin auf dem sicheren Boden einer gefestigten Rechtsprechung.
Die scheinbar abweichende Ansicht des LG gebietet eine Bejahung der Erfolgsaussicht auch nicht im Lichte höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach grundsätzliche und umstrittene Rechtsfragen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren abschließend vorweg entschieden werden dürfen (BGH v. 21.11.2002 - V ZB 40/02, BGHReport 2003, 407 = MDR 2003, 477). Auch nach der Auffassung, die den Nachweis, auf welche Weise das Tier im konkreten Fall die Sicherungen ohne Verschulden des Halters überwunden hat, vom Tierhalter nicht verlangt, hat der Beklagte sich nicht entlastet. Da nämlich der Schadenseintritt regelmäßig indiziert, dass eine Ausbruchsmöglichkeit bestanden hat, muss der Tierhalter auch nach dieser Ansicht darlegen und beweisen, dass die von ihm unternommenen Sicherungsmaßnahmen abstrakt geeignet waren, alle vernünftigerweise denkbaren Alternativen sicher auszuschließen (so ausdrücklich selbst LG Köln v. 18.7.2001 - 9 S 312/00, NJW-RR 2001, 1606). Daran fehlt es vorliegend schon deshalb, weil weder eine regelmäßige, dichte Kontrolle der Weideeinzäunung auf ihre Unversehrtheit vorgetragen und unter Beweis gestellt, noch die durchaus nicht fernliegende Möglichkeit des - womöglich unbemerkten - Ausbrechens der Kuh auf ihrem Weg vom abendlichen ...