Leitsatz (amtlich)
Zur Haftungsverteilung bei einer Kollision zwischen einem an der Lichtzeichenanlage anfahrenden Lkw und einem Pkw, der während der vorangegangenen Rotphase sein Fahrzeug nach einem vorgenommenen Fahrstreifenwechsel in eine vor dem Lkw vorhandene Lücke gelenkt hat.
Normenkette
StVG § 17 Abs. 1-2; StVO § 1 Abs. 2, § 7 Abs. 5
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Urteil vom 18.11.2011; Aktenzeichen 2 O 35/11) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 18.11.2011 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Bielefeld teilweise abgeändert.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.499,07 EUR sowie 229,30 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten jeweils nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.2.2011 - die Beklagte zu 3) darüber hinaus seit dem 9.2.2011 bis zum 23.2.2011 - zu zahlen.
Die weiter gehende Klage bleibt abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 77 % und die Beklagten 23 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
A. Von der Darstellung des Tatbestands wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
B. Die zulässige Berufung des Klägers ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet und im Übrigen unbegründet.
I. Der Kläger hat gegen die Beklagten aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls einen Anspruch aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1 AuslPflVersG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG auf Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 2.499,07 EUR.
1. Unzweifelhaft hat sich der Unfall beim Betrieb der beteiligten Kraftfahrzeuge ereignet, § 7 Abs. 1 StVG. Es kann nicht festgestellt werden, dass es sich bei dem Unfall für einen der beiden Kraftfahrzeugführer um ein unabwendbares Ereignis i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG handelte. Unabwendbar ist ein Ereignis, das durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Abzustellen ist insoweit auf das Verhalten des sog. "Idealfahrers" (König in: Hentschel/König/Dauer, 41. Aufl., § 17 StVG Rz. 22). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein solcher die Kollision verhindert hätte. Unabwendbarkeit des Unfalls macht zudem keine Partei geltend.
2. Die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie deren Umfang hängen nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG bzw. nach § 254 Abs. 1 BGB von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die danach gebotene Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (ständige Rechtsprechung, zuletzt BGH NJW 2012, 1953).
a) Der Kläger hat den Unfall dadurch verursacht, dass er von der rechten Rechtsabbiegerspur über den links davon gelegenen weiteren Fahrstreifen für Rechtsabbieger auf die äußerst links gelegene Fahrspur, die für den Geradeausverkehr und für Linksabbieger bestimmt ist, gefahren ist und sich mit seinem Pkw in die Lücke gesetzt hat, die sich zwischen dem Lkw des Beklagten zu 1) und dem davor befindlichen Fahrzeug aufgetan hatte. Insoweit ist dem Kläger ein schuldhafter Verkehrsverstoß anzulasten. Dabei kann im Ergebnis dahinstehen, ob er gegen § 7 Abs. 5 S. 1 StVO verstoßen hat, wonach ein Fahrstreifen nur gewechselt werden darf, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift scheitert allerdings nicht daran, dass der Lkw der Beklagten vor der Lichtzeichenanlage stand. Zwar gilt § 7 Abs. 5 StVO nicht im Verhältnis zwischen fließendem und ruhendem Verkehr (König, a.a.O., § 7 StVO Rz. 17). Entgegen der Ansicht des OLG Köln (VersR 2003, 1186) ist § 7 Abs. 5 StVO aber auch gegenüber einem nur verkehrsbedingt wartenden Fahrzeugführer zu beachten (König, a.a.O.). Der vor der Lichtzeichenanlage stehende Lkw des Beklagten zu 1) ist nicht dem ruhenden Verkehr zuzuordnen. Bloß verkehrsbedingtes vorübergehendes Stehenbleiben, etwa vor einer Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage, ist kein Halten, sondern Warten und wird dem unterbrochenen Verkehrsvorgang des fließenden Verkehrs zugerechnet (Heß in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 22. Aufl. 2012, § 12 StVO Rz. 3 mit Verweis auf BGHSt 14, 149; Geigel/Zieres, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., 27. Kap. Rz. 331).
Soweit § 7 Abs. 5 StVO bei sog. Verteilerfahrbahnen im Bereich von Autobahnkreuzen mit der Begründung nicht angewandt wird, dass diese Norm nur für den gleichgerichteten Verkehr gelte und keine Anwendung finde, wo Fahrstreifenwechsel "typisch" und "gewollt" sind (OLG Saarbrücken OLGReport Saarbrücken 2008, 962; OLG Köln NZV 2007, 141; OLG Düsseldorf NZV 1989, 404), ist zumindest zweifelhaft, ob dies ...