Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Reichweite der Ermittlungspflicht im Erbscheinsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Hat ein mitsorgeberechtigtes Elternteil eine Beschwerde in einem Erbscheinsverfahren für das Kind allein eingereicht, kann der andere Elternteil dies auch noch nach Fristablauf genehmigen.
2. Wird die Echtheit eines Testaments bestritten, kann es - neben der Erhebung von Sachverständigenbeweis - geboten sein, Beteiligte und Zeugen anzuhören, um Indizien festzustellen, die für oder gegen die Errichtung der streitigen letztwilligen Verfügung sprechen könnten.
3. Wird die Echtheit von Vergleichsmaterial bezweifelt, das einem Schriftvergleich zugrunde gelegt werden sollen, ist darüber ggf. Beweis - etwa durch Befragung von Zeugen - zu erheben.
Normenkette
BGB § 184 Abs. 1, § 2229 Abs. 4, § 2358 Abs. 1; FamFG §§ 26, 69
Verfahrensgang
Notariat Achern (Beschluss vom 16.12.2014; Aktenzeichen 2 NG 62/2014) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 3, 4 und 6 wird der Beschluss des Notariats Achern - Nachlassgericht - vom 16.12.2014 - 2 NG 62/14 - aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Nachlassgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.
2. Die Festsetzung des Geschäftswerts des Beschwerdeverfahrens wird dem Nachlassgericht übertragen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten im Erbscheinsverfahren darum, ob der Beteiligten zu 1 - der einzigen Tochter der Erblasserin - ein Alleinerbschein aufgrund zweier gleichlautender privatschriftlicher Testamente aus dem Dezember 2012 zu erteilen ist oder die früheren notariellen Testamente wirksam bleiben, die eine teilweise abweichende Erbfolge vorsehen.
Die 1927 geborene Erblasserin, die deutsche Staatsangehörige war und zuletzt in Schutterwald gewohnt hat, ist 2013 verstorben. Zum Zeitpunkt ihres Todes war sie geschieden und hatte eine volljährige Tochter, die Beteiligte zu 1.
In einem notariellen Testament vom 8.2.2010, das am 18.2.2010 hinsichtlich einer Testamentsvollstreckerweisung ergänzt wurde, hatte die Erblasserin die Beteiligte zu 1 zu zwei Dritteln sowie zwei Enkel - die Beteiligten zu 5 und 6 - zu jeweils einem Sechstel zu nicht befreiten Vorerben eingesetzt und den Beteiligten zu 7 zum Testamentsvollstrecker ernannt.
Es liegen außerdem zwei auf den 22.12.2012 datierte privatschriftliche Testamente vor, die folgenden übereinstimmenden Wortlaut haben:
"Testament
Fursorglich widerrufe ich alle bisherigen Verfügungen von Todes wegen mein gesamtes Vermögen vererbe ich B. S. meiner Tochter T. S.-W. geb. S. die Wohnung in München und die 4 Wohnungen in Feilnbach, die vererbe ich meiner Enkelin K. W.
Schutterwald, den 22.12.2012
B. S."
Ob diese Testamente von der Erblasserin stammen, ist zwischen den Beteiligten streitig; ferner, ob die Erblasserin - die Echtheit vorausgesetzt - an der wirksamen Abfassung durch Testierunfähigkeit gehindert war.
Das Nachlassgericht ist auf der Grundlage eines von ihm erhobenen und auf Einwendungen ergänzten schriftlichen Schriftgutachtens zu der Überzeugung gelangt, dass die Testamente vom 22.12.2012 von der Erblasserin stammen. Hinreichende Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit hat es - u.a. deshalb, weil ein für die Erblasserin angeregtes Betreuungsverfahren nach Vorlage einer Vorsorgevollmacht eingestellt worden war - nicht gesehen. Es hat daher mit dem angefochtenen Beschluss angekündigt, dem Antrag der Beteiligten zu 1 entsprechen zu wollen, ihr einen Alleinerbschein zu erteilen. Dagegen richten sich Beschwerden der Beteiligten zu 3 und 4 sowie 6, denen das Nachlassgericht nicht abgeholfen hat. Die Beschwerdeführer verfolgen den Fälschungseinwand - mit Angriffen gegen die Echtheit des Vergleichsmaterials und gegen die Qualifikation des Gutachters - weiter und halten auch ihre Auffassung weiter aufrecht, dass die Erblasserin jedenfalls testierunfähig gewesen sei.
Die Beteiligte zu 1 ist den Beschwerden entgegengetreten.
II. Die nach §§ 58, 352 FamFG zulässigen Beschwerden haben in der Sache vorläufigen Erfolg. Sie führen zur Zurückverweisung an das Nachlassgericht, weil dessen Verfahren unter einem wesentlichen Mangel leidet, vor einer Sachentscheidung eine aufwendige Beweisaufnahme erforderlich wäre, die Zurückverweisung von einem Beteiligten beantragt worden ist (§ 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG) und der Senat sein Ermessen zugunsten einer Zurückverweisung ausgeübt hat.
A. Die für die minderjährigen Beteiligten zu 3 und 4 eingelegten Beschwerden sind statthaft.
a) Für die Beteiligte zu 3 konnte deren Mutter - die Beteiligte zu 2 - die Beschwerde allein einlegen, weil sie nach der Bescheinigung des Jugendamtes nach § 58a SGB VIII allein sorgeberechtigt ist.
b) Die Beschwerdeeinlegung für den Beteiligten zu 4, die zunächst nur durch die Beteiligte zu 2 erfolgt ist, hat der mitsorgeberechtigte Vater durch das Schreiben vom 28.5.2015 genehmigt. Zwar sind Genehmigungen als einseitige Rechtsgeschäfte bedingungsfeindlich, s...