Entscheidungsstichwort (Thema)
Mithaftung des Erstschädigers für ärztliches Versäumnis nach einem Verkehrsunfall; Zuordnung der Teilzahlung eines Gesamtschuldners, der dem Gläubiger über die Gesamtschuld hinaus allein haftet
Leitsatz (amtlich)
1. Wird der Verletzte eines Verkehrsunfalls ärztlich fehlerhaft behandelt, ist das haftungsrechtlich auch dem Unfallverursacher zuzuordnen, es sei denn, der Arzt hätte seine Sorgfaltspflichten in außergewöhnlich hohem Maße verletzt. Bei der Fehldeutung eines Röntgenbildes kann es sich um ein Versäumnis handeln, für das der Unfallverursacher neben dem Arzt als Gesamtschuldner haftet.
2. Hat der für den Gesamtschaden eintrittspflichtige Erstschädiger ohne Zahlungsbestimmung eine dem Haftungsbetrag des Zweitschädigers entsprechende Teilzahlung unterhalb der Schwelle zur gesamtschuldnerischen Haftung geleistet, wirkt diese Zahlung nicht zugunsten des Zweitschädigers. Vielmehr ist in entsprechender Anwendung von § 366 Abs. 2 BGB davon auszugehen, dass der Erstschädiger nicht auf die Gesamtschuld gezahlt hat.
Normenkette
BGB §§ 249, 253, 276, 278, 366, 422, 426, 611, 823, 840; StVG § 7; PflVG § 3
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 22.08.2007; Aktenzeichen 10 O 568/04) |
Tenor
I. Unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin wird das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Koblenz vom 22.8.2007 auf die Berufung der Beklagten teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
a) Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 3.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.4.2004 zu zahlen.
b) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weiter greifende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits fallen der Klägerin 88 % und den Beklagten als Gesamtschuldnern 12 % zu Last.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, sofern die Gegenseite nicht vor der Vollstreckung eine entsprechende Sicherheit leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt das beklagte Krankenhaus und zwei dort tätige Ärzte auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von 20.000 EUR und Feststellung der Ersatzpflicht für Zukunftsschäden in Anspruch.
Am 6.6.2001 erlitt die Klägerin bei einem Verkehrsunfall als Beifahrerin eines Pkw schwerste Verletzungen. Den Zusammenstoß hatte der Unfallgegner allein verschuldet. Die Klägerin wurde notfallmäßig in das beklagte Krankenhaus gebracht. Dort fertigte man Röntgenbilder, die von dem Zweitbeklagten (Radiologe) unzureichend bzw. fehlerhaft befundet worden sein sollen. Eine Verletzung der Lendenwirbelsäule soll übersehen worden sein. Daher beschränkte sich der Drittbeklagte (Unfallchirurg) auf die Versorgung der übrigen Verletzungen der Klägerin, die am 16.6.2006 aus der stationären Behandlung entlassen wurde. Später wurde die Verletzung der Lendenwirbelsäule andernorts festgestellt und ärztlich versorgt.
Das LG hat ein radiologisches und ein unfallchirurgisches Gutachten eingeholt und den Unfallchirurg mündlich befragt.
In dieser mündlichen Verhandlung erklärte die Klägerin, vom Unfallverursacher bisher ein Schmerzensgeld von "etwa 4.000 EUR " erhalten zu haben. In zweiter Instanz hat sie die Schmerzensgeldzahlung auf 4.506,21 EUR konkretisiert.
Das LG hat der Klägerin unter Abweisung des Feststellungsbegehrens ein Schmerzensgeld von 5.000 EUR zuerkannt. Die unzureichende Diagnostik der Beklagten habe dazu geführt, dass zwei weitere Krankenhausaufenthalte erforderlich geworden seien. Da die Verzögerung jedoch im Endergebnis nicht zu einem den Beklagten zurechenbaren bleibenden Schaden geführt habe, sei das verlangte Schmerzensgeld überhöht und das Feststellungsbegehren unbegründet.
Diese Entscheidung wird von beiden Seiten mit der Berufung bekämpft. Während die Klägerin ein Schmerzensgeld von weiteren 15.000 EUR und die Feststellung der Ersatzpflicht für Zukunftsschäden erstrebt, begehren die Beklagten die umfassende Ab-weisung der Klage. Ein grober Behandlungsfehler, der Beweiserleichterungen in der Kausalitätsfrage rechtfertige, liege nicht vor. Im Übrigen hafte der Unfallverursacher als Erstschädiger auch für etwaige Schadensfolgen aus einem diagnostischen Versäumnis der Beklagten. Aufgrund der Schmerzensgeldzahlung des Erstschädigers seien die gleichgerichteten Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagten auf den anderen Schuldner übergegangen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen
II. Die Berufung der Beklagten hat einen Teilerfolg (1.); das Rechtsmittel der Klägerin ist dagegen insgesamt unbegründet (2.).
1. Der Klägerin steht gegen die Beklagten ein Schmerzensgeldanspruch zu. Ihre Haftung dem Grunde nach ziehen die Beklagten ohne Erfolg in Zweifel.
a) Das LG hat im Ausgangspunkt zu Recht eine vertragliche Haftung der Erstbeklagten und daneben eine deliktisc...