Leitsatz (amtlich)
1. Befand sich der Erblasser bis zu seinem Tod mehr als 10 Jahre in einem Pflegeheim am selben Ort, hatte er an diesem Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt.
2. Das gilt auch dann, wenn er während der gesamten Zeit wegen einer geistigen Erkrankung unter Betreuung stand und der Betreuer auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht ausgeübt hat.
Normenkette
EuErbVO Art. 21; FamFG §§ 5, 343
Verfahrensgang
AG Günzburg (Aktenzeichen VI 1306/22) |
Tenor
Als zuständiges Nachlassgericht wird das Amtsgericht Sonthofen bestimmt.
Gründe
I. Die Erblasserin ist am xx.xx.2022 in einem Pflegeheim in Sonthofen verstorben. In diesem Pflegeheim wohnte die Erblasserin seit dem Jahre 2011.
Für die Erblasserin war mit Beschluss des Amtsgerichts Günzburg vom xx.xx.1974 wegen geistiger Gebrechen ein Betreuer bestellt worden, dessen Aufgabenbereich die Vermögenssorge, die Gesundheitsfürsorge und die Aufenthaltsbestimmung umfasste. Seit dieser Zeit lebte die Erblasserin in verschiedenen Heimen, der Umzug in das Pflegeheim nach Sonthofen erfolgte, nachdem das Fachpflegeheim in Oy-Mittelberg, in dem die Erblasserin bis dato gewohnt hatte, abgebrannt war.
Die Betreuung dauerte bis zum Tod der Erblasserin an.
Nach dem Tod der Erblasserin erklärte sich das Amtsgericht Sonthofen - Nachlassgericht - mit Beschluss vom 05.09.2022 für örtlich unzuständig. Es stellte darauf ab, dass die Erblasserin letztmalig geschäftsfähig war, als sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Autenried gehabt habe, das zum Bezirk des Amtsgerichts Günzburg gehört.
Mit Beschluss vom 23.01.2023 erklärte sich auch das Amtsgericht Günzburg - Nachlassgericht - für örtlich unzuständig und legte die Akten dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor. Es stellte im Wesentlichen darauf ab, dass es auf eine fehlende Geschäftsfähigkeit der Erblasserin nicht ankäme.
II. 1. Der Senat ist nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG für die Zuständigkeitsbestimmung zuständig, nachdem sich zwei Nachlassgerichte im Bezirk des OLG München durch Beschluss für örtlich unzuständig erklärt haben.
2. Als zuständiges Gericht war das Amtsgericht Sonthofen zu bestimmen, da die Erblasserin hier ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte, § 343 Abs. 1 FamFG.
a) Unter dem "gewöhnlichen Aufenthalt" ist der tatsächliche Lebensmittelpunkt einer natürlichen Person zu verstehen, der mittels einer Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in der Zeit vor seinem Tod und zum Zeitpunkt des Todes festzustellen ist (OLG München, Beschluss vom 22.03.2017 - 31 AR 47/17, ZEV 2017, 333; OLG Celle, Beschluss vom 12.09.2019, 6 AR 1/19, ZEV 2020, 229). Auch in Alten- und Pflegeheimen kann grundsätzlich ein Aufenthalt begründet werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.06.2016, I-3 Sa 5/15, FGPrax 2016, 240), wenn der Erblasser im Zeitpunkt des Einzugs fähig war, einen eigenen Bleibewillen zu bilden (Burandt/Rojahn/Gierl, 4. Aufl. 2022, FamFG § 343 Rn. 11; Krätzschel/Falkner/Döbereiner/Krätzschel, Nachlassrecht, 12. Aufl. 2022, § 37 Rn. 3).
Welche Anforderung für Begründung des (gewöhnlichen) Aufenthalts im Hinblick auf die Geschäftsfähigkeit des Erblassers zu stellen sind, ist im Einzelnen umstritten und nicht abschließend geklärt (OLG München, a.a.O.: keine Geschäftsfähigkeit, aber Fähigkeit zur eigenen Willensbildung; OLG Celle, a.a.O.: keine Notwendigkeit, die Geschäftsfähigkeit des Erblassers zu ermitteln; zum Meinungsstand: MüKoFamFG/Grziwotz, 3. Aufl. 2019, § 343 Rn. Rn. 19).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lag der gewöhnliche Aufenthalt der Erblasserin zur Zeit des Erbfalls in Sonthofen.
aa) Bereits der Umstand, dass die Erblasserin vor ihrem Tod 10 Jahre lang an diesem Ort lebte, spricht in objektiver Hinsicht dafür, dass sie dort ihren "Daseinsmittelpunkt", mithin ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dies gilt auch dann, wenn die Erblasserin aufgrund ihrer psychischen Erkrankung am allgemeinen Leben nur eingeschränkt teilgenommen hat, denn dies entsprach gerade ihrem Lebenszuschnitt. Insoweit teilt der Senat die in der Literatur vertretene Auffassung, dass auch Personen, die ohne oder mit nur wenig sozialer Integration und ohne besondere gesellschaftliche Kontakte leben, einen gewöhnlichen Aufenthalt haben/bilden (Weber/Francastel, DNotZ 2018, 163/167).
bb) Dem steht nicht entgegen, dass für die Erblasserin seit 1974 ein Betreuer bestellt war, zu dessen Aufgabenkreis auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht gehörte, die Erblasserin ihren Aufenthaltsort also nicht frei wählen durfte.
Dabei kommt es auf die umstrittene Frage, ob überhaupt eine subjektive Komponente für die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts besteht und welche Anforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten des konkreten Falles im Ergebnis nicht an.
(1) Soweit lediglich ein "natürlicher" (nicht aber rechtsgeschäftlicher) Aufenthaltswille verlangt wird (Grüneberg/Thorn, BGB, 82. Aufl. 2023, Art. 21 EuErbVO Rn. 6), liegt ein solcher hier zweifelsfrei vor, denn die Erblasserin erklärte wiederholt ...