Leitsatz (amtlich)
1. Als Zeitpunkt der Kenntnis vom Behandlungsverlauf und vom darin liegenden Abweichen vom medizinischen Standard ist nicht schon der Zeitpunkt anzunehmen, in dem der in Folge des Behandlungsfehlers in Lebensgefahr schwebenden Patientin gegenüber im Rahmen der Aufklärung über die Notwendigkeit intensiv – medizinischer Folgebehandlung Äußerungen über die Ursache der Komplikationen gemacht werden.
2. Eine Hemmung nach § 203 BGB tritt ein, wenn der Gläubiger außerstande ist, die Kosten des Rechtsstreits selbst aufzubringen und er rechtzeitig Prozesskostenhilfe beantragt. Verzögerungen, die durch unnötige Rückfragen des Gerichts entstehen, dürfen nicht zu Lasten der bedürftigen Partei gehen.
Verfahrensgang
LG Stendal (Aktenzeichen 21 O 381/96) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 11.10.2000 verkündete Urteil des LG Stendal (Geschäftsnummer: 21 O 381/96) soweit zum Nachteile der Klägerin erkannt wurde und im Kostenpunkt teilweise abgeändert.
Der Beklagte wird – über den Umfang der Verurteilung durch das LG in vorgenanntem Urteil hinaus – verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld i.H.v. 50.000 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 1.10.1998 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 7/20 und der Beklagte 13/20 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer der Klägerin und des Beklagten übersteigt 60.000 DM jeweils nicht.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Gründe
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und wurde insbesondere frist- und formgerecht eingelegt. In der Sache hat sie teilweise Erfolg, da der Klägerin ein unverjährter Schmerzensgeldanspruch in zuerkannter Höhe (§§ 831 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB), sowie hierauf entfallender Verzugszinsen zusteht.
1. Der Klägerin steht dem Grunde nach ein Schmerzensgeldanspruch zu. Die bei dem Beklagten beschäftigten Ärzte haben als dessen Erfüllungsgehilfen die Klägerin an der Gesundheit verletzt, indem sie anlässlich der Ausschabung am 25.10.1990 die Reste eines Intrauterinpessars (IUP) nicht entfernten, so dass diese in der Gebärmutter der Klägerin verblieben und dort zu entzündlichen Prozessen und der Bildung eines (nicht malignen) Konglomerattumors führten. Der Beklagte hat die unvollständige Entfernung des IUP bestritten. Der Senat schließt sich insoweit jedoch den überzeugenden und ausführlichen Ausführungen in Ziffer II des angefochtenen Urteils an.
2. Unter Würdigung aller Umstände erachtet der Senat ein Schmerzensgeld i.H.v. 50.000 DM für erforderlich, aber auch für ausreichend. Dabei waren insbesondere die erhebliche Schmerzhaftigkeit des Tumors, der über den Bereich der Gebärmutter hinaus namentlich den Dickdarm erfasste, die umfangreichen zur Behandlung erforderlichen operativen Maßnahmen, die durch den Fehler hervorgerufene lebensbedrohende Situation der Klägerin sowie die Dauer der Krankenhausbehandlungen – teilweise auch intensivmedizinisch – zu berücksichtigen. Andererseits hat die Klägerin die Kausalität des Fehlers für weitere von ihr behauptete Gesundheitsbeeinträchtigungen (Diabetes) weder durch Atteste dargelegt noch hierzu Beweis angeboten. Das Attest des Kreiskrankenhaus B. vom 15.9.1994, welches die Klägerin in den Rechtsstreit eingeführt hat (GA Bd. 1 Bl. 32, 33) widerlegt vielmehr, dass diese Folgen auf die Fehlbehandlung zurückzuführen sind. Die mit einer Totaloperation bei einer Frau einhergehende Konsequenz der Unfruchtbarkeit spielt in Anbetracht des Alters und der persönlichen Situation der Klägerin hier nur eine untergeordnete Rolle
3. Der Schmerzensgeldanspruch ist nicht verjährt.
3.1. Die 3-jährige Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB beginnt mit Kenntnis des Gläubigers von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen, wobei in Arzthaftungssachen auch die Kenntnis von den Umständen des Behandlungsverlaufs und die Kenntnis des Abweichens von dem medizinischen Standard erforderlich ist (BGH v. 23.4.1991 – VI ZR 161/90, NJW 1991, 2350 = MDR 1991, 1042; v. 24.6.1999 – IX ZR 363/97, NJW 1999, 2734 = MDR 1999, 1198). Die Klägerin selbst hat eingeräumt, diese Kenntnisse am 17.10.1993 erlangt zu haben. Der Beklagte konnte nicht nachweisen, dass die Klägerin bereits vor diesem Zeitpunkt wusste, dass der Konglomerattumor und die diesen verursachenden Entzündungsprozesse auf die fehlende Entfernung der Reste des IUP zurückzuführen sind. Zwar hat der Zeuge Dr. B. in seiner Vernehmung vor dem LG bekundet, dass er bereits vor diesem Zeitpunkt Aufklärungsgespräche geführt hat, nämlich am 8. und 9.10.1993. Es mag auch so sein, dass er den Zusammenhang zwischen der Spirale und dem Tumor „zumindest angedeutet” (sic!) hat. Hieraus ergibt sich aber nicht, dass die Klägerin die erforderliche positive Kenntnis oben genannter Umstände hatte. Selbst wenn der Zeuge den Zusammenhang dargestellt haben sollte, was sich aus der oben zitierten Aussage nicht ergibt, würde der S...