Leitsatz (amtlich)
1. In einem Testament niedergelegte Erklärungen müssen mit Testierwillen des Erblassers abgegeben worden sein, also auf dem ernsthaften Willen des Erblassers beruhen, ein Testament zu errichten und rechtsverbindliche Anordnungen über sein Vermögen nach seinem Tode zu treffen.
2. Grundsätzlich gilt, dass ein Erblasser bis zum Beweis des Gegenteils als testierfähig anzusehen ist, da die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet. Dies gilt selbst dann, wenn der Erblasser unter Betreuung steht. Die Testierunfähigkeit muss also zur vollen Gewissheit des Gerichts feststehen.
3. Maßgeblich für die Testierfähigkeit ist, ob der Testierende noch in der Lage ist, sich über die Tragweite seiner Anordnungen ein klares Urteil zu bilden und dann frei von den Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln oder nicht.
4. Auch für den Betreuten besteht die Vermutung der Testierfähigkeit. Auch Störungen der Geistestätigkeit führen für sich genommen noch nicht zwangsläufig zur Testierunfähigkeit.
Normenkette
BGB § 2229 Abs. 4, § 2247
Verfahrensgang
AG Neubrandenburg (Beschluss vom 10.05.2021; Aktenzeichen 502 VI 501/20) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 6) wird der Beschluss des Amtsgerichts Neubrandenburg vom 10.05.2021 abgeändert:
a. Der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1) bis 4) vom 18.05.2020 wird zurückgewiesen.
b. Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung des am 17.06.2020 von der Beteiligten zu 6) beantragten Erbscheins vorliegen, der die Beteiligte zu 6) als Alleinerbin ausweist.
2. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beteiligten zu 1) bis 4). Eine Erstattung notwendiger Aufwendungen findet nicht statt.
3. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 100.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.Der Erblasser errichtete am 26.03.2020 drei gleichlautende, mit "Testament" überschriebene Schriftstücke, die er jeweils mit einer Unterschrift versehen hat und die später an unterschiedlichen Orten aufgefunden worden sind.
Die drei Schriftstücke haben (mit leichten Unterschieden in den Schreib- und Darstellungsweisen) folgenden Inhalt:
"Hier imt Verfüge ich U. P. gebo am 20.10.1961 daß nach meiner Ableben Frau U. M. gebo am 9.1.1964 als alleinige Erbin für mein Haus in C. Mabilar und mein Grundstück MKG 131436 3 FLURST-NR 76 in F. OT C. C.-Str. einsetze. Mein Auto vererbe ich V.S. Ich bin im vollen Besitz meine geistiger Kräfte."
Mit anwaltlichem Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 18.05.2020 haben die Beteiligten zu 1) bis 4) die Erteilung eines Erbscheins dahingehend beantragt, dass der Erblasser von der Beteiligten zu 1) zu 1/2 und den Beteiligten zu 2), 3) und 4) jeweils zu 1/6 nach gesetzlicher Erbfolge beerbt worden sei.
Mit notarieller Urkunde der Notarin H. H. aus N. vom 17.06.2020 zu deren Urkundenrolle-Nr. 967/2020 hat die Beteiligte zu 6) die Erteilung eines Erbscheins dahingehend beantragt, dass der Erblasser von ihr als Alleinerbin kraft letztwilliger Verfügung beerbt worden sei.
Die Beteiligten zu 1) bis 4) halten die Testamente vom 26.03.2020 für unwirksam, da der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung der Testamente nicht testierfähig gewesen sei. Der Erblasser habe unter einer frühkindlichen Hirnschädigung mit zerebralem Residualsyndrom mit Intelligenzminderung gelitten. Anlässlich der Untersuchung zur Einrichtung einer Betreuung im Jahr 2007 habe der beauftragte Gutachter deutliche Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen des Erblassers, besonders bei emotional stärker besetzten Inhalten, beschrieben. Der Erblasser sei danach vermehrt irritabel, erfasse gestellte Fragen nur ungenau und schwer, eine chronologische und inhaltliche Strukturierung des Gesprächs sei dem Erblasser nur schwer möglich, er neige zu plötzlichen Gedankensprüngen und fernliegenden Themen, eine realistische Einschätzung zur eigenen Situation oder Perspektive sei nicht erfragbar. Der Gutachter sei seinerzeit deshalb von einer intellektuellen Minderbegabung mit beträchtlicher praktischer Intelligenz ausgegangen.Zu einer ähnlichen Einschätzung sei ein anderer Gutachter anlässlich einer Untersuchung im Betreuungs(verlängerungs)verfahren 2014 gekommen. Danach sei der Erblasser mit logischer und abstrakter Denkleistung überfordert gewesen und habe mehrschichtige Zusammenhänge nicht erfassen können. Die Betreuerin des Erblassers habe deshalb damals die Erweiterung der Aufgabenkreise (auch Vermögenssorge und Aufenthaltsbestimmung) angeregt. Zum 19.03.2018 sei die Betreuung nur deshalb aufgehoben worden, weil ausreichend familiäre Hilfen gewährleistet worden seien. Der Erblasser habe jedoch auch nach der Aufhebung der Betreuung den Alltag nicht allein bewältigt. Seine Schwester habe ihm die Wäsche gemacht und die verordneten Medikamente vorbereitet, das Essen gekocht und ihn bei behördlichen Angelegenheiten unterstützt. Der Schwager habe die hygienische Unterstützung (Duschen, Finger- und Fussnägel schneiden) übernommen. Seit 2006 habe der Erblasser im Winter ...