Lotte Thiel, Norbert Schneider
Rz. 107
Zunächst ist auf die Zuständigkeitsregelung für den Einzelrichter in Abs. 8 S. 1 einzugehen. Danach entscheidet im Beschwerderecht stets der Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen worden ist. Sie gilt auch für die Beschwerde, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde. Nur er ist dann der gesetzliche Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG).
Rz. 108
Diese Zuständigkeit verliert der Einzelrichter, wenn es sich um eine Sache von grundsätzlicher Bedeutung handelt. Dann ist er verpflichtet, den Fall dem Kollegium zu übertragen (Abs. 8 S. 2). Dagegen und damit auch gegen das Gebot des gesetzlichen Richters verstößt er, wenn er selbst in der Sache entscheidet und zugleich die Beschwerde zulässt. Der angefochtene Beschluss ist dann wegen fehlerhafter Besetzung des Beschwerdegerichts aufzuheben und der Vorgang zurückzuverweisen, und zwar an den Einzelrichter, nicht an das Kollegium.
Rz. 109
Die Aufhebung und Zurückverweisung kann noch durch rechtzeitige Einlegung einer Gegenvorstellung verhindert werden, in der auf den Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG hingewiesen wird. Dann hat der Einzelrichter die Möglichkeit, seinen Beschluss vor Abgabe der Sache an das Beschwerdegericht aufzuheben und die Sache dem Kollegium zur Entscheidung zu übertragen. Dieses Vorgehen entspricht BGHZ 150, 133. Danach können Gehörsverletzungen im Beschlussverfahren immer mit der Gegenvorstellung gerügt werden. Bei begründeter Rüge ist das Gericht ohne Bindung an seine Entscheidung zur Selbstabhilfe befugt (siehe Rdn 92 ff.).
Rz. 110
Der Einzelrichter muss immer nach seiner Fallbeurteilung entscheiden. Er darf sich nicht beim Kollegium informieren, wie er verfahren soll, und zulassen, weil grundsätzliche Bedeutung zwar nicht nach seiner Meinung, wohl nach der des Kollegiums anzunehmen sei.
Rz. 111
In diesem Zusammenhang stellt sich eine weitere Frage. Nach Abs. 4 S. 4 ist die Nichtzulassung unanfechtbar (siehe Rdn 145 f.). Einfachrechtlich hat der Antragsteller daher keine Möglichkeit, sich gegen eine Verkennung der grundsätzlichen Bedeutung als Zulassungsgrund zu wehren. Es bleibt nur die Verfassungsbeschwerde. Dazu liegt Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor:
Zitat
"Ist ein Gericht kraft Gesetzes verpflichtet, bei Abweichung von der Entscheidung eines anderen Gerichts oder wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falles ein Rechtsmittel zuzulassen oder die Sache einem höheren Gericht zur Entscheidung vorzulegen, dann geht es um den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG). Dieses Grundrecht wird verletzt, wenn ein Gericht gegen eine Zulassungs- oder Vorlagepflicht verstößt. Es stellt daher eine nicht zu rechtfertigende Verkehrung des Gesetzeszweckes dar, wenn dieses Verfahren ausgespart wird und das Landgericht Fragen von grundsätzlicher Bedeutung ohne Zulassung der weiteren Beschwerde selbst entscheidet."
Rz. 112
Einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 S. 2 GG nimmt das BVerfG allerdings nur an, wenn ein Gericht die Verpflichtung zur Vorlage an ein anderes Gericht willkürlich außer Acht lässt. Das ist eine äußerst fragwürdige Einschränkung, da in Art. 103 Abs. 1 S. 2 GG vom "gesetzlichen" und nicht vom "willkürlichen" Richter die Rede ist. Mit der Willkürformel des BVerfG ist der Kontrollmaßstab ohne gesetzliche Ermächtigung zu Lasten des Betroffenen mit dem Ziel reduziert worden, sie von der Einlegung von Verfassungsbeschwerden abzuhalten.
Rz. 113
Der Anwalt sollte rechtzeitig auf die grundsätzliche Bedeutung einer Sache hinweisen und die Zulassung der weiteren Beschwerde beantragen. Damit zwingt er das Beschwerdegericht, sich mit dieser Frage auseinander zu setzen. Geht das Gericht nicht darauf ein, dann setzt es sich dem Vorwurf des willkürlichen Übergehens der grundsätzlichen Bedeutung aus. So vorzugehen, hat zum Erfolg einer Verfassungsbeschwerde geführt:
"... eine unter keinem Gesichtspunkt vertretbare und damit willkürliche Verletzung der Vorlagepflicht, zumal die Entscheidungsgründe nicht erkennen lassen, warum das Landgericht von der gebotenen Vorlage Abstand genommen hat," obwohl "die Beschwerdeführerinnen ausdrücklich auf den Rechtsentscheid"... Bezug genommen“ haben.