Rz. 29
Nach dem Wortlaut von Nr. 1 markiert das Einreichen einer Klageschrift, des ein Verfahren einleitenden Antrags oder eines Schriftsatzes, der Sachanträge, Sachvortrag bzw. die Zurücknahme von Klage oder Antrag enthält, den Zeitpunkt, ab welchem dem Prozessbevollmächtigten eine volle Verfahrensgebühr i.H.v. 1,3 gemäß VV 3100 zusteht.
Rz. 30
Im Falle der Klageerhebung ist im Rahmen eines Zivilprozesses wegen der Vorschrift des § 253 Abs. 2 ZPO erforderlich, dass die Klage den dort genannten Anforderungen entspricht und insbesondere auch eine Begründung enthält. Im Übrigen ist eine Begründung von gestellten oder angekündigten Anträgen nach dem Wortlaut von Abs. 1 nicht erforderlich. Aufgrund des Umstands, dass neben der Klage auch sonstige Schriftsätze – insbesondere solche, die lediglich Sachvortrag enthalten – zum Entstehen der vollen Verfahrensgebühr führen, wird allerdings in der Praxis kaum Streit darüber entstehen, ob im Einzelfall die Voraussetzungen von § 253 Abs. 2 ZPO erfüllt sind.
Rz. 31
Unter den Begriff "Klage" fällt nicht nur die eigentliche Klage, die erstmalig zur Einleitung eines Rechtsstreits führt. Vielmehr wird damit auch eine eventuelle Klageerweiterung erfasst, zu der erst im Laufe des Rechtsstreits Anlass besteht. Gleiches gilt auch für eine während des Rechtsstreits erhobene Widerklage.
Rz. 32
Darüber hinaus erfasst VV 3101 Nr. 1 auch den Fall einer Hilfswiderklage (Eventualwiderklage). Die Hilfswiderklage wird z.B. für den Fall erhoben, dass das Gericht eine erklärte Aufrechnung wegen eines vertraglich vereinbarten Aufrechnungsverbotes für unzulässig hält. Sie kann auch für den Fall erhoben werden, dass das Gericht einen bestimmten Rechtsstandpunkt des Beklagten teilt, woraus sich für diesen ein Gegenanspruch ergeben würde, den er dem Kläger entgegenhalten kann und zum Anlass für eine nunmehr gegen den Kläger gerichtete Widerklage nehmen will. Teilt das Gericht diesen Rechtsstandpunkt nicht, entscheidet es auch nicht mehr über die Hilfswiderklage.
Rz. 33
Die Zulässigkeit einer derartigen Hilfswiderklage ist in der Rechtsprechung anerkannt. Es ist im Rahmen der Zivilprozessordnung möglich, Anträge bedingt zu stellen, wenn die Antragstellung nicht von dem Eintritt eines außer-, sondern dem Eintritt eines innerprozessualen Ereignisses abhängt. Nach Auffassung des BGH stellt diese Art der Widerklage eine rechtlich unbedenkliche Möglichkeit dar, die Kosten der Überprüfung eines Anspruchs gering zu halten.
Rz. 34
In gebührenrechtlicher Hinsicht stellt sich die Frage, ob der Rechtsanwalt, der die Hilfswiderklage erhoben hat, von seinem Auftraggeber hierfür eine volle Verfahrensgebühr (VV 3100) oder nur eine reduzierte Verfahrensgebühr (VV 3101 Nr. 1) erhalten kann, soweit die innerprozessuale Bedingung nicht eintritt. Da für die Entstehung der vollen 1,3-Verfahrensgebühr nach VV 3100 schon ein Schriftsatz mit Sachvortrag ausreicht, kann es in gebührenrechtlicher Hinsicht nicht darauf ankommen, ob und mit welchen zivilprozessualen Auswirkungen die innerprozessuale Bedingung der Hilfswiderklage eingetreten ist. Für die Einreichung einer Hilfswiderklage entsteht für den Anwalt daher die volle 1,3-Verfahrensgebühr.
Rz. 35
Eine andere Frage ist dagegen, ob die Gebühren für die Hilfswiderklage gegen den eigenen Auftraggeber oder den Gegner festgesetzt und von ihm erstattet verlangt werden können, wenn über die Hilfswiderklage nicht entschieden wurde. Da ein hilfsweise geltend gemachter Anspruch nur dann bei der Ermittlung des Gegenstandswertes berücksichtigt wird, wenn über ihn entschieden worden ist (§ 45 Abs. 1 S. 2 GKG), bleibt der Wert der Hilfswiderklage bei der Berechnung des Wertes für die Anwaltsgebühren und des Erstattungsanspruchs gegen den Gegner grundsätzlich unberücksichtigt, wenn über diese nicht entschieden wurde. Von diesem kann die Gebührendifferenz daher nicht verlangt werden.
Rz. 36
Gegen den eigenen Auftraggeber steht dem Anwalt möglicherweise dann ein Gebührenanspruch zu, wenn er sich auftragsgemäß mit der Verteidigung gegen die Hilfswiderklage befasst hat, auch wenn über diese nicht entschieden wurde. Von der überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung wird eine Berücksichtigung des Wertes der nicht beschiedenen Hilfswiderklage (ebenso wie der Wert der nicht berücksichtigten Hilfsaufrechnung) für die Gebührenberechnung zwar abgelehnt. Diese Ansicht verkennt allerdings die Grundstruktur des anwaltlichen Vergütungsrechts. Dem Anwalt stehen Gebühren für diejenigen Gegenstände zu, hinsichtlich derer er auftragsgemäß tätig wird. Beschäftigt er sich demnach auftragsgemäß mit der Hilfswiderklage, so entsteht die Gebühr aus dem (entsprechend erhöhten) Gegenstandswert auch dann, wenn über den betreffenden Anspruch keine Entscheidung ergeht und er daher für die Berechnung der Gerichtsgebühren nicht herangezogen werden kann. Diese Gebührenstruktur findet ihre Rechtfertigung auch im Aufgaben- und Verantwortungsbereich des Anwalts: Er haftet dem Mandanten für die korrekte Beh...