OFD Karlsruhe, Verfügung v. 17.7.2009, S 130.1/670 - St 217
Der BFH hat mit Urteilen
zu der Frage Stellung genommen, ob sog. Pikettdienste zu Nichtrückkehrtagen führen, so dass in der Folge die Grenzgängereigenschaft i.S. des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz entfällt.
1. Die Entscheidung des BFH vom 16.5.2001 (I R 100/00)
Gegenstand dieser Entscheidung ist der Fall einer im Inland ansässigen Arbeitnehmerin, die im Streitjahr 1995 als Chef de Service eines schweizerischen Hotels im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet an 71 Tagen nicht an den deutschen Wohnsitz zurückkehrte, weil sie Nachtbereitschaft wahrnehmen musste.
Der BFH stimmt in dieser Entscheidung der Auffassung des Finanzamts und des Finanzgerichts zu, wonach Nr. II.1. des Verhandlungsprotokolls vom 18.12.1991 zu Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz dahin zu verstehen sei, dass „bei einer sich über mehrere Tage erstreckenden Arbeitsausübung eine „regelmäßige” Rückkehr i.S. von Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz unterstellt und damit eine zwischenzeitliche Rückkehr an den Wohnort fingiert werde; solche Tage der Nichtrückkehr berührten die Grenzgängereigenschaft folglich nicht.”
2. Die Entscheidung des BFH vom 15.9.2004 (I R 67/03)
Gegenstand dieser Entscheidung ist der Fall eines im Inland ansässigen Arbeitnehmers, der in den Streitjahren 1996 und 1997 als für die Einführung neuer Produktionsprozesse verantwortlicher Ingenieur in der Nähe seines schweizerischen Arbeitgeber-Unternehmens ein Ein-Zimmer-Studio angemietet hatte, um im Rahmen von Pikettdiensten innerhalb von 30 Minuten auf dem Betriebsgelände seines Arbeitgebers erscheinen zu können.
Die Entscheidung bedeutet insbesondere eine Änderung der Rechtsprechung zur sog. tagesübergreifenden Tätigkeit. Die Aussagen zu Nr. II.1. im Verhandlungsprotokoll vom 18.12.1991 (BStBl 1993 I S. 929) werden nicht mehr als Fiktion einer Rückkehr verstanden, sondern als Annahme, dass eine tatsächlich erst am nächsten Tag erfolgte Rückkehr schon vor dem Tagesende stattgefunden hat. Gegenstand einer Fiktion ist damit nicht mehr die Rückkehr selbst, sondern lediglich der Zeitpunkt einer tatsächlich erfolgten Rückkehr (fiktive Vorverlegung).
3. Die Entscheidung des BFH vom 20.10.2004 (I R 31/04)
Gegenstand dieser Entscheidung ist der Fall eines im Inland ansässigen Arbeitnehmers, der im Streitjahr 1998 als EDV-Berater für den Verkauf, die Beratung und die Betreuung von SAP-Produkten zuständig war. Die Erstellung von Lösungen und deren Installation, die Upgrades und die Instandhaltungen der Kundensysteme führte zu Ablaufprozessen, die oft über die jeweiligen regulären Arbeitstage hinaus andauerten.
Hierzu bestätigte der BFH sein in I R 67/03 entwickeltes Verständnis zur tagesübergreifenden Tätigkeit.
4. Die Entscheidungen des BFH vom 27.8.2008 (I R 10/07 und I R 64/07)
Gegenstand der Entscheidung I R 10/07 ist der Fall einer im Inland ansässigen Arbeitnehmerin, die in den Streitjahren 1994 bis 1996 in der Schweiz als Sozialarbeiterin im Bereich der Drogenhilfe arbeitete. Im Rahmen dieser Tätigkeit begleitete sie Therapiemaßnahmen zum Drogenentzug. Eine solche Therapiemaßnahme dauerte in der Regel 15 Tage. Während dieser Zeit wurden die Drogenabhängigen rund um die Uhr betreut.
Gegenstand der Entscheidung I R 64/07 ist der Fall einer im Inland ansässigen Arbeitnehmerin, die im Streitjahr 2001 in der Schweiz als Heilerziehungshelferin in einem Heim für cerebral Gelähmte tätig war. Hierbei wurde sie zu Pikettdiensten über die Nacht herangezogen.
In beiden Entscheidungen stellt der BFH zunächst fest, dass er an seiner in I R 67/03 entwickelten und in I R 31/04 bekräftigten Auffassung zur Beurteilung der tagesübergreifenden Tätigkeit festhalte.
Im Hinblick auf den jeweiligen Streitfall führt er aus, dass es in diesen Streitfällen nicht um einen Sachverhalt gehe, „in dem der Arbeitnehmer nur geringfügig über die Tagesgrenze hinaus tätig war”. Vielmehr habe sich die Arbeitszeit der Klägerin „ununterbrochen über mehr als zwei Tage” (I R 10/07 – Sozialarbeiterin) bzw. „an dem jeweiligen zweiten Arbeitstag über mehrere Stunden erstreckt” (I R 64/07 – Heilerziehungshelferin).
In der Entscheidung I R 64/07 (Heilerziehungshelferin) macht der BFH die Abgrenzung des Streitfalles zu dem Fall der tagesübergreifenden Tätigkeit i.S. der Entscheidungen I R 67/03 und I R 31/04 noch deutlicher. Die Tätigkeit der Klägerin habe an einer Vielzahl von Tagen am Folgetag bis zur Mittagspause oder noch länger gedauert. Deshalb könne nicht davon gesprochen werden, „dass am zweiten Tag lediglich der Einsatz am ersten Tag abgeschlossen worden sei und dass diese Phase ...