Entscheidungsstichwort (Thema)
SGB II, SGB X, SGG
Leitsatz (amtlich)
1. Die Grundsätze des § 73 Abs. 6 SGG gelten auch im Rahmen der Vollmachtsvorlage im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren. Die Behörde kann das Vorlegen einer Vollmacht des tätig gewordenen Rechtsanwaltes gem. § 13 Abs. 1 Satz 3 SGB X nur bei sachlich oder zeitlich gerechtfertigten Zweifeln an ihrer Wirksamkeit verlangen.
2. Es fehlt an der Sachentscheidungsbefugnis des Gerichtes bei rechtswidrig als unzulässig verworfenen Widerspruch. Die Behörde ist auf eine hilfsweise zur Leistungsklage erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1, 2 SGG) unter isolierter Aufhebung des Widerspruchsbescheides zur Bescheidung in der Sache zu verpflichten.
Tenor
1. Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 10.12.2018 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, den Widerspruch der Klägerinnen vom 1.10.2018 gegen den Ausgangsbescheid vom 24.9.2018 (vorläufige Leistungsbewilligung), nunmehr in Gestalt des Bescheides vom 31.1.2019 (endgültige Leistungsfestsetzung), in der Sache zu bescheiden.
2. Der Beklagte hat den Klägerinnen ihre Kosten zu erstatten.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Berufung gegen dieses Urteil wird für beide Beteiligte zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II nach endgültiger Leistungsfestsetzung durch den Beklagten, sowie um die Frage, ob der Beklagte berechtigt gewesen ist, den Widerspruch der Klägerinnen mangels ausreichender Vollmachtsurkunde des prozessbevollmächtigten Rechtsanwaltes als unzulässig zu verwerfen (Leistungszeitraum Oktober 2018 bis März 2019).
Die Klägerin zu 1. lebt mit ihren minderjährigen Kindern, den Klägerinnen zu 2.und 3., in Bedarfsgemeinschaft. Im Jahre 2017 stellte sie einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Hieraus gingen insgesamt 6 Rechtsstreite hervor, in denen sich der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt der Klägerinnen jeweils mit einer am 18. September 2017 von der Klägerin zu 1. unterzeichneten Vollmacht gegenüber dem Beklagten legitimierte. Nach dem Wortlaut der vorliegenden Vollmacht wird in Sachen B A. gegen Jobcenter Landkreis Kassel wegen Leistungen nach dem SGB II sowohl Vollmacht zur außergerichtlichen Vertretung aller Art als auch Prozessvollmacht für alle Verfahren in allen Instanzen erteilt. Nach Ziffer 8 der Vollmacht erstreckt sie sich insbesondere auf die Vertretung vor Verwaltungs-, Sozial- und Finanzbehörden und Gerichten.
Das zeitlich erste von dieser Verfahrensvollmacht betroffene Verfahren betraf den Bescheid des Beklagten vom 29. September 2017 über die vorläufige Leistungsbewilligung von Oktober 2017 bis März 2018, sowie den Widerspruchsbescheid vom 24. November 2017 (Zurückweisung des Widerspruchs durch den Beklagten als unbegründet in der Sache, wobei der Beklagte die oben bezeichnete Verfahrensvollmacht des bevollmächtigten Rechtsanwaltes vom 18. September 2017 akzeptierte). Das nachfolgende Klageverfahren zum Aktenzeichen des Sozialgerichts Kassel S 7 AS 696/17 wurde in der mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits am 27. Februar 2017 durch Zurücknahme der Klage bei ursprünglichem Streitgegenstand der Höhe der Leistungen bzw. der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Leistungen beendet.
Im zeitlich nachfolgenden Verwaltungsverfahren (Aktenzeichen des Sozialgerichts Kassel S 7 AS 233/18) wies die Beklagte einen gegen ihren Bescheid vom 3. August 2017 gerichteten Widerspruch unter Vorlage derselben Vollmacht mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2018 als unbegründet zurück, da nach ihrer Auffassung die Voraussetzungen zur Gewährung von Leistungen für Kraftfahrzeugreparaturkosten nicht vorlagen. Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Sozialgerichts Kassel nach mündlicher Verhandlung am 27. Februar 2019 abgewiesen.
In dem weiteren bei dem Sozialgericht Kassel anhängigen Rechtsstreit S 7 AS 419/18 hatte die Beklagte einen Widerspruch des prozessbevollmächtigten Rechtsanwaltes der Klägerinnen gegen den Ablehnungsbescheid vom 13. März 2018 (ebenfalls Förderung von Reparaturkosten am Kraftfahrzeug als Streitgegenstand) mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2018 als unzulässig verworfen, weil der Prozessbevollmächtigte der Kläger auf Aufforderung des Beklagten im dortigen Widerspruchsverfahren lediglich die bereits bezeichnete Vollmacht vom 18. September 2017 überreicht hatte; zur Begründung führte die Beklagte aus, der Widerspruch sei als unzulässig zu verwerfen, weil der Prozessbevollmächtigte durch die vorgelegte Vollmacht nicht hinreichend legitimiert sei. Der folgende Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Kassel zum Aktenzeichen 7 AS 419/18 wurde von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 27. Februar 2019 durch Vergleichsschluss beendet.
In einem weiteren, vierten, Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Kassel (S 7 AS 420/18) hatte die Beklagte zuvor den Widerspruch des prozessbevollmächtigten Rechtsanwaltes der Kläger gegen ihren Ablehnungsbescheid vom 21. März 2018 (Schulbedarf) mit Widers...