Leitsatz

Stellt ein Gutachter im Streit über die Verpflichtung zur Zahlung von Krankentagegeld während eines Zeitraums von über zwei Jahren lediglich fest, dass bei seiner ersten Untersuchung Arbeitsunfähigkeit vorlag, bei der zweiten jedoch nicht, dann darf von einer Unaufklärbarkeit des medizinischen Sachverhalts nicht ausgegangen werden, wenn Beweis für die Arbeitsunfähigkeit durch das Zeugnis dreier Ärzte angeboten ist und somit weitere Anknüpfungstatsachen für den Sachverständigen geschaffen werden können.

 

Sachverhalt

Der Kl. nahm den beklagten Versicherer auf Zahlung von Krankentagegeld in Anspruch. Nach der beschränkten Annahme der Revision war noch im Streit, ob die Bekl., die seit Februar 1994 Krankentagegeld zahlt, zu dieser Leistung auch für die Zeit vom 01.09.1997 bis 31.01.2000 verpflichtet war. Insoweit hatten die Instanzen die Klage abgewiesen. Die Revision des Kl. führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in diesem Umfang und zur Zurückweisung.

 

Entscheidung

Gemäß der Entscheidung des BGH hatte die Revision, soweit sie angenommen wurde, Erfolg. Sie führte zur Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht, weil dieses nach Auffassung des BGH in der streitigen Frage, ob der Kl. auch nach August 1997 noch vollständig arbeitsunfähig war, seiner verfahrensrechtlichen Pflicht zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts noch nicht ausreichend nachgekommen war.

Das Berufungsgericht habe sich bei seiner Entscheidung, dem Kl. sei der ihm obliegende Beweis seiner vollständigen Arbeitsunfähigkeit über August 1997 hinaus nicht gelungen, auf das zweite psychosomatische Gutachten des Sachverständigen Prof. R. vom 27.06.2000 und dessen ergänzende Stellungnahme vom 19.02.2001 gestützt: Der Sachverständige habe festgestellt, dass es in der Zeit von August 1997 bis Juli 2000 zu einer ganz entscheidenden Besserung der affektiven Störung gekommen sei und sich für den Zeitraum nach August 1997 lediglich Zeichen einer gestörten Krankheitsverarbeitung nach dem am 27.02.1997 erlittenen (zweiten) Herzinfarkt finden ließen, aus denen aber keine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit folge.

Die Revision rüge zu Recht, dass die Feststellung des Berufungsgericht, der Kl. habe eine über August 1997 hinaus andauernde vollständige Arbeitsunfähigkeit nicht beweisen können, auf Verfahrensfehlern beruhe. Zwar lasse die vom Berufungsgericht vorgenommene tatrichterliche Würdigung des vorliegenden Sachverständigengutachtens mitsamt seiner Ergänzung keine Rechtsfehler erkennen. Verfahrensfehlerhaft sei indessen, dass das Berufungsgericht sich bei der Beweisaufnahme auf das vorliegende Gutachten beschränkt und nicht zusätzliche Beweise erhoben habe.

Das vorliegende Gutachten beantworte die vom Berufungsgericht gestellte Beweisfrage, ob der Kl. auch nach dem 01.02.1996 arbeitsunfähig krank gewesen sei, nur unvollständig. Der Sachverständige habe feststellen sollen, ob und ggf. bis wann aus medizinischer Sicht über den 01.02.1996 hinaus vollständige Arbeitsunfähigkeit des Kl. vorlag. Er habe sich indessen darauf beschränkt, den Zustand des Kl. im Zeitpunkt der ersten psychosomatischen Begutachtung im Juli 1997 und im Zeitpunkt der zweiten Begutachtung im Juli 2000 zu beurteilen. Für den ersten Zeitpunkt habe er vollständige Arbeitsunfähigkeit angenommen und im zweiten Zeitpunkt habe er keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit mehr festgestellt. Für den dazwischen liegenden Zeitraum von drei Jahren habe der Sachverständige eine Aussage über die Arbeitsunfähigkeit bewusst vermieden, weil er in diesem Zeitraum keine Untersuchung durchgeführt habe; er habe deshalb gemeint, dass aufgrund ärztlicher Befunde keine sichere Aussage über die Arbeitsfähigkeit zu treffen sei. Diese zeitliche Beurteilungslücke werde auch nicht durch die Annahme des Sachverständigen geschlossen, die Besserung des seelischen Zustands sei progredient verlaufen. Denn dies ermögliche nur die Schlussfolgerung, dass irgendwann im Laufe dieser drei Jahre die vollständige Arbeitsunfähigkeit des Kl. in teilweise Arbeitsfähigkeit umgeschlagen sei, nicht aber die Festlegung des genauen Zeitpunkts.

Eine derartige Beurteilungslücke in dem eingeholten Gutachten dürfe der Tatrichter nur hinnehmen und daran den von der beweisbelasteten Partei zu erbringenden Beweis scheitern lassen, wenn die Lücke durch eine Ausdehnung der Beweisaufnahme, d. h. durch die Erhebung weiterer angebotener Beweise nicht behoben werden könne. Falls die Unvollständigkeit des Gutachtens, wie hier, darauf beruhe, dass dem Sachverständigen Tatsachengrundlagen (die sog. Anknüpfungstatsachen) gefehlt haben, so sei es Aufgabe des Tatrichters, dem Sachverständigen die fehlenden Anknüpfungstatsachen nachträglich an die Hand zu geben und im Wege eines Ergänzungsgutachtens oder der Anhörung des Sachverständigen die Auswirkungen des geänderten Sachverhalts auf das Gutachten mit dem Sachverständigen zu klären (BGH NJW 1997, 1446 unter II 3b).

Im vorliegenden Fall habe das Berufungsgericht nicht von Unaufk...

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