New Work in der Anwaltskanzlei

Nicht nur der Kanzleinachwuchs ist nach Wirtschaftskrise, Covid-Krise und Ukraine-Krieg auf der Sinnsuche. Den Purpose Drive stärken – das hat sich zum neuen Trend entwickelt. Aber was versteckt sich hinter diesem Ansinnen? Und wie können Anwaltskanzleien davon profitieren?

Was Purpose bedeutet

Die Großkanzleien machen es uns vor: Da werden Workshops zum Thema Purpose Drive und Purpose Quests abgehalten, um Zukunftsfestigkeit zu demonstrieren. Purpose oder auf Deutsch: Sinn ist zur festen Orientierungsgröße geworden. Das gilt nicht nur in philosophischer Hinsicht (vgl. dazu schon vor der Finanzkrise Richard David Precht, Wer bin ich – und wenn ja, wie viele, München 2007). Auch im heutigen Geschäftsleben gilt: Der Mensch steht im Mittelpunkt, sei es als Mitarbeitender (siehe hierzu: Kanzlei sucht Nachwuchs – aber richtig!Personal: Wo Sie am besten suchen sollten) oder als Mandant (siehe: Kanzlei akquiriert Mandanten– aber richtig!).

Doch wie lässt sich diese Einsicht in gangbare Münze herunterbrechen? Entscheiden alle Beteiligten künftig gemeinsam? Und/oder jeder arbeitet nach seinen eigenen Vorstellungen?

Rote Linien

Kanzleien haben im Vergleich zu anderen Unternehmen eher flache Hierarchien. Selbst dort, wo viele Berufsträger:innen und ihr Support unter einem Dach – oder wenigstens: einer Marke – zusammenarbeiten, gibt es hierzulande weder Vorstand noch Geschäftsführung i. e. S. Managing Partner arbeiten als erste unter Gleichen auf Zeit, und alle Equity Partner:innen sind Mitinhaber:innen der Sozietät. Für mittelständische Kanzleien gilt das erst recht. Trotzdem ist die Vorstellung, jede und jeden „mal machen zu lassen“, nicht umzusetzen. Interne Zuarbeit und Mandantenbedürfnisse sind rote Linien für holokratische Prozesse aller Art, bei denen jede:r etwas zu sagen hat.

New Work: Ein Märchen?

Tatsächlich bedeutet auch das viel beschworene Konzept der New Work keinen Freibrief. Zwar hatte Frithjof Bergmann, der Vater dieser Bewegung, die Grundidee, „Neue Arbeit“ sei das zu tun, was man am besten kann und auch am liebsten tun möchte. Was man „wirklich, wirklich will“ hat er dabei aber vermutlich im Sinne Theodor Adornos gemeint. Von dem Protagonisten der Frankfurter Schule stammt der viel zitierte Satz: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“.

Auch Kinder- und Jugendbuchautoren wie Paul Maar und Michael Ende haben diese Idee in so bekannten Geschichten wie dem Sams oder der Unendlichen Geschichte aufgegriffen. Wünsche haben ihren Preis, so die Botschaft – deswegen sollte man sich gut überlegen, was dem wahren Willen entspricht. „Leb dein Leben“ heißt da nicht: „Leb deinen Traum“.

Ein Praxisfall

Von einem entsprechenden Fall aus dem Anwaltsmarkt hat jüngst ein Kölner Kollege berichtet, bei dem sich ein junger Urheberrechtler beworben hatte. Das ist ein hochinteressantes Rechtsgebiet, aber auch eines, bei dem sofortige Beschwerden und andere Eilfragen eine nicht unwichtige Rolle spielen. Freitags allerdings gelte das, für ihn nur bis um vier, beschied der Bewerber den verdutzten Anwalt. Danach müssten schon andere Kolleg:innen ran. Er sei nämlich Surfer und müsse nach dem Büro noch an einen bestimmten niederländischen Strand fahren. Dort seien die Wellen nun einmal am besten.

„Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte“ – diese Regel haben wir schon im vorangehenden Beitrag herangezogen. Auf unseren Jungjuristen bezogen heißt das hier und heute, dass er sich zwar aussuchen kann, ob er ausgerechnet im „Grünen Bereich“ arbeiten möchte. Wenn er das tut, darf er aber die damit verbundenen reaktionszeitlichen Verpflichtungen nicht anderen überlassen. Auch Freitags Nachmittags nicht.

Oder was meinen Sie? Wie immer freuen wir uns auf Ihre Rückmeldungen!


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