Zur ärztlichen Informationspflicht bei Demenz
In einer viel beachteten Entscheidung hat das OLG München sich mit der Frage auseinander gesetzt,
- ob lebenserhaltende Maßnahmen in bestimmten Fällen schweren körperlichen Leidens einen ärztlichen Behandlungsfehler darstellen können und
- ob das Erleiden des Weiterlebens ein ersatzpflichtiger Schaden sein kann.
Das OLG hat dies im Ergebnis bejaht und dem Sohn seines schwer demenzkranken Vaters nach dessen Tod einen ererbten Schmerzensgeldanspruch zugesprochen.
Der Fall
Der Hausarzt hatte die Ernährung des schwer an Demenz erkrankten Vaters im Endstadium der Krankheit über eine Magensonde (PEG-Sonde) angeordnet. Die Einlassungen der Prozessparteien, darüber, inwieweit der Arzt die künstliche Ernährung mit dem als Betreuer seines Vaters eingesetzten Sohn abgestimmt hatte, gingen auseinander. Das Gericht sah den Arzt insoweit als beweisbelastet an. Eine umfängliche Unterrichtung des Sohnes konnte der Arzt letztlich nicht nachweisen.
Leiden sinnlos verlängert
Nach Auffassung des Sohnes war die zu Beginn des Jahres 2010 angeordnete Sondenernährung spätesten ab Ende 2011 nicht mehr medizinisch sinnvoll. Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe festgestanden, dass sein Vater nie mehr würde am Leben teilhaben können. Durch die Ernährung über eine Sonde sei nicht nur das Leben seines Vaters, der an weiteren schweren, schmerzhaften Erkrankungen litt, sondern vor allem sein schweres Leiden sinnlos verlängert worden.
Pflicht zur Erörterung der Behandlungsoptionen
In seiner grundlegenden Entscheidung hat das OLG sich ausführlich mit dem Umfang der Informationspflichten des Arztes im Falle des Endstadiums einer schweren Demenz befasst. Im Endstadium einer Demenz besteht nach dem Diktum des OLG eine Verpflichtung des Arztes,
- die Sinnhaftigkeit einer Sondenernährung zu hinterfragen und
- die Behandlung auf eine rein palliative Versorgung zumindest in Erwägung zu ziehen.
- das Für und Wider der verschiedenen Versorgungsoptionen gemäß § 1901b Abs. 1 BGB mit dem Betreuer intensiv und gründlich zu erörtern.
Der Betreuer benötigt eine Entscheidungsgrundlage
Das Gericht stellte ausdrücklich klar, dass der Arzt nicht per se verpflichtet und auch nicht befugt gewesen sei, die künstliche Ernährung abzubrechen. Das Gericht ließ aber Kritik an der unter Medizinern verbreiteten Übung durchblicken, aus einer möglichen Angst vor Haftungsrisiken lebenserhaltende Maßnahmen fortzusetzen, obwohl der Patient offenkundig gerade durch die lebenserhaltenden Maßnahmen einen Leidensweg durchlaufe.
In einer solchen Situation sei ein Arzt unbedingt verpflichtet, soweit dies aus medizinischer Beurteilung möglich ist, dem Betreuer durch exakte Information über die physische Situation des Patienten und über die von ihm zu erduldenden Schmerzen eine sachliche Grundlage für eine verantwortungsbewusste Entscheidung über die Fortführung bzw. den Abbruch der Sondenernährung an die Hand zu geben.
Lebenserhaltende Maßnahmen können Behandlungsfehler sein
Im konkreten Fall ging das Gericht davon aus, dass der Arzt seinen Informationspflichten nicht hinreichend nachgekommen war. Hierdurch habe der Arzt das Integritätsinteresse des Patienten verletzt. Der Patient habe an Wundgeschwüren und schweren Erkrankungen gelitten, ohne dass er sich hierzu noch habe äußern können. Das Weiterleben sei für ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Qual gewesen.
Der Fall geht zum BGH
Die Verletzung der Informationspflichten seitens des Arztes begründen nach dem Diktum des OLG einen Anspruch des Patienten auf Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro, der auf den Sohn als alleinigen Erben übergegangen sei. Gefordert hatte der Sohn an Schadenersatz und Schmerzensgeld insgesamt über 150.000 Euro. Beide Parteien haben angekündigt, gegen das Urteil Revision einzulegen. Eine Grundsatzentscheidung des BGH zu der Thematik dürfte spannend werden.
(OLG München, Urteil v. 21.12. 2017,1 U 454/17)
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