Wann kann im Bußgeldverfahren keine Fahrtenbuchauflage verhängt werden?
Der dem Verfahren zugrunde liegende Geschwindigkeitsverstoß war beachtlich. Statt der zulässigen 30 km/h war ein Motorradfahrer mit 63 km/h innerorts unterwegs, als er geblitzt wurde. Die drohenden Konsequenzen dieses Verstoßes: ein Bußgeld, zwei Punkte im Fahreignungsregister und ein Monat Fahrverbot.
Motorradfahrer dem 2 Punkte und ein Fahrverbot drohten war wegen seinem Helm nicht zu erkennen
Das Problem das sich der Bußgeldbehörde stellte: Wer war der rasante Fahrer? Auf dem Radarfoto war das Gesicht des Fahrer wegen des Helms nicht zu erkennen. In dem Bußgeldverfahren teilte der Kläger der Bußgeldstelle mit, er sei nicht der verantwortliche Fahrzeugführer gewesen. Zum fraglichen Zeitpunkt habe einer seiner beiden Söhne, ihres Zeichens Zwillinge, das Motorrad gefahren. Im Übrigen machte der Mann von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.
Fahrtenbuchauflage für 15 Monate statt weiterer Ermittlungen: Motorradhalter klagte
Die Bußgeldstelle stellte daraufhin das Verfahren ein. Der Kläger wurde verpflichtet, für 15 Monate ein Fahrtenbuch zu führen (§ 31a Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung).
Nach § 31a StVZO kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuches anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen die Verkehrsvorschriften nicht möglich war.
Nach erfolglosem Widerspruch erhob der Mann hiergegen Klage.
Begründung: Die beklagte Behörde habe nicht alle angemessenen und zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen ergriffen. Er habe sich nicht lediglich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen, sondern den Kreis der möglichen Fahrer auf zwei Personen – seine beiden Söhne – eingegrenzt. Die beklagte Behörde hätte problemlos durch die Anhörung der Söhne den tatsächlichen Fahrer feststellen können.
Behörde hält Nachforschungen nach dem Verkehrssünder für unzumutbar
Die Behörde hatte argumentiert, die Bußgeldstelle sei nicht dazu verpflichtet gewesen, die beiden Zwillingssöhne parallel anzuhören. Hierbei handele es sich um eine unzumutbare Maßnahme, weil sich die Mitarbeiter der Bußgeldbehörde in diesem Fall einer strafrechtlichen Verfolgung wegen des Vorwurfs der Verfolgung Unschuldiger ausgesetzt sähen. Das Verwaltungsgericht Koblenz folgte dieser Argumentation nicht und gab der Klage statt.
Wie viel Aufwand ist der Bußgeldbehörde bei der Suche nach dem Fahrer zumutbar?
Behörden sei es nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg versprechende Ermittlungen anzustellen, falls der Fahrzeughalter erkennbar die Mitwirkung an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ablehne (vgl. BVerwG Beschluss vom 01.03.1994 - 11 B 130/93). Dies gelte auch dann, wenn der Fahrzeughalter den in Frage kommenden Personenkreis weit fasse und nicht auf einzelne Personen eingrenze.
Liegt eine Eingrenzung auf einzelne Personen hingegen vor, müsse die Behörde aufgrund der dann vorliegenden konkreten Anhaltspunkte weitere Ermittlungen einstellen, also in der Regel die Personen befragen. Entsprechende Maßstäbe gälten auch im vorliegenden Fall mit den Zwillingen des Fahrzeughalters als mögliche Fahrer. Denn sei es nicht ausgeschlossen gewesen, dass einer der beiden Zwillinge die Tat gestanden hätte.
Gericht: Ermittlungen aufgrund der Schwere der Tat zumutbar
Das Gericht führte zudem aus, dass es angesichts der Schwere der Tat für die Bußgeldstelle zumutbar gewesen wäre, weiter Ermittlungen in Richtung der beiden Söhne des Klägers anzustellen. Angesichts der Tatsache, dass die beiden Zwillingssöhne deutlich unterschiedlich groß sind (1,87 Meter versus 1,79 Meter) wäre es für die Bußgeldstelle auch zumutbar gewesen, anhand der Radarfotos und der dort abgebildeten Kleidung und des Helmes des Fahrers weitere Ermittlungen anzustellen.
(VG Koblenz Urteil vom 10.12.2019 - 4 K 773/19.KO).
Hintergrund: Wann kommt eine Fahrtenbuchauflage in Betracht?
Nur ein Verkehrsverstoß von einigem Gewicht rechtfertigt eine Fahrtenbuchauflage. Wird nur ein einmaliger, unwesentlicher Verstoß festgestellt, der sich weder verkehrsgefährdend auswirken kann noch Rückschlüsse auf die charakterliche Unzuverlässigkeit des Kraftfahrers zulässt, ist die Fahrtenbuchauflage nicht gerechtfertigt (BVerwG Beschluss vom 22.06.1995 - 11 B 7/95).
Ein Rechtssatz, dass bei einem erstmaligen Verkehrsverstoß von einigem Gewicht zunächst die Androhung der Fahrtenbuchauflage zu erfolgen hat, steht zwar nicht im Gesetz, ergibt sich aber daraus, dass die Fahrtenbuchauflage mit der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes steht und fällt. Die Wesentlichkeit des Verstoßes hängt nicht davon ab, ob dieser zu einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer geführt hat (BVerwG Beschluss vom 22.06.1995 - 11 B 7/95).
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