Umfasst die D&O-Versicherung auch Ansprüche nach § 64 S. 1 GmbHG?
Zum Sachverhalt
Hintergrund des vom BGH entschiedenen Falles war ein Insolvenzsachverhalt. Der Geschäftsführer einer GmbH hatte trotz Insolvenzreife verschiedene Zahlungen geleistet und wurde deswegen vom Insolvenzverwalter der GmbH auf Ersatz dieser Schäden nach § 64 S. 1 GmbHG in Anspruch genommen. Zugunsten des Geschäftsführers war bereits mehrere Jahre vor der Insolvenz eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Unternehmensleiter von Gesellschaften mit beschränkter Haftung („D&O-Versicherung“) abgeschlossen worden. Der Geschäftsführer trat seine Ansprüche gegen die Versicherung an die GmbH ab. Infolgedessen stritten sodann der Insolvenzverwalter der GmbH und die Versicherung darüber, ob die D&O-Versicherung für Ersatzansprüche nach § 64 S. 1 GmbHG einstandspflichtig ist. In der ersten Instanz unterlag der Insolvenzverwalter; seine Berufung wurde als offensichtlich aussichtslos zurückgewiesen. Hiergegen richtete sich die Revision des Insolvenzverwalters vor dem BGH.
Das Urteil des BGH vom 18.11.2020 (Az. IV ZR 217/19)
Der BGH hob – im Ergebnis, weil der Sachverhalt (insbesondere eine behauptete Vertragsanfechtung durch die Versicherung) nicht hinreichend ermittelt worden war – den angefochtenen Beschluss des Berufungsgerichts auf und verwies die Sache zur Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. Der BGH führte in seinem Urteil jedoch daneben umfangreich zu der Frage aus, ob Ansprüche der GmbH gegen den Geschäftsführer auf Ersatz von Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife (§ 64 S. 1 GmbHG) von einer D&O-Versicherung zu ersetzen sind. Aus Sicht des Gerichts ist dies auf Grundlage der „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern und Leitenden Angestellten“ (ULLA) der Fall. Dies leitete der BGH vor allem aus einer detaillierten Auslegung der zugrunde liegenden Versicherungsklauseln aus Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers ab und klärte damit eine bislang höchst umstrittene Rechtsfrage.
Anmerkung
Leistet ein Geschäftsführer einer GmbH nach Eintritt der Insolvenzreife, d.h. nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der GmbH, Zahlungen, die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind, ist er gegenüber der GmbH zum Ersatz dieser Zahlungen verpflichtet (§ 64 S. 1 GmbHG).
Die Ersatzpflicht besteht unabhängig davon, ob bei der GmbH durch die Zahlung ein Schaden entstanden ist; bereits die Masseschmälerung zu Lasten der Insolvenzgläubiger löst die Ersatzpflicht aus. Dies gilt entsprechend für die Vorstände von Aktiengesellschaften (§ 92 Abs. 2 AktG). Da der Eintritt der Insolvenzreife nicht immer rechtzeitig bemerkt wird, ist die Haftung des Geschäftsführers in der Praxis einer der vom Insolvenzverwalter am häufigsten geltend gemachten Ansprüche. Für den betroffenen Geschäftsführer kann dies kritisch werden, denn je nach dem Umfang der geleisteten Zahlungen können die daraus erwachsenden Ersatzansprüche schnell ein erhebliches Ausmaß erreichen. Dies gilt trotz der immer weiter ausdifferenzierten Einwendungen, die ein Geschäftsführer den Ansprüchen entgegenhalten kann – von der Verhinderung des unkontrollierten Zusammenbruchs der Gesellschaft, über die strafbewehrte Notwendigkeit der Zahlung der Arbeitnehmeranteile von Sozialabgaben und der Lohnsteuer bis hin zu werthaltigen Gegenleistungen, die im Gegenzug zu der Zahlung erworben wurden.
Wenn Ansprüche nach § 64 S. 1 GmbHG geltend gemacht werden, hofft der Geschäftsführer bzw. Vorstand sodann auf seine D&O-Versicherung. Diese ersetzt – einfach gesprochen – Vermögensschäden, die der Geschäftsführer im Rahmen seiner organschaftlichen Tätigkeit für die Gesellschaft verursacht hat. Gerade für die betragsmäßig häufig bedeutsame Haftung des Geschäftsführers nach § 64 S. 1 GmbHG (bzw. des Vorstands nach § 92 Abs. 2 AktG) wuchs in den vergangenen Jahren allerdings die Unsicherheit, ob bzw. in welchen Fällen die D&O-Versicherung ersatzpflichtig ist. Es ergingen einige Urteile von Oberlandesgerichten, die einer solchen Ersatzpflicht kritisch gegenüberstanden (beispielsweise das OLG Düsseldorf 20.07.2018, Az. 4 U 93/16 ). Begründet wurde dies häufig damit, dass die Versicherungsbedingungen nur die Einstandspflicht für „Schadensersatzansprüche“ vorsehen, der Anspruch nach § 64 S. 1 GmbHG aber ein „schadensunabhängiger Ersatzanspruch eigener Art“ zugunsten der Insolvenzgläubiger sei.
Der BGH hat dieser Rechtsprechung nun mit einer nachvollziehbaren und zu begrüßenden Auslegung der Versicherungsbedingungen eine Absage erteilt. Seines Erachtens konnten die relevanten Versicherungsbedingungen aus Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers nur so ausgelegt werden, dass versicherte „Schadensersatzansprüche“ weit zu verstehen ist und deswegen auch Ersatzansprüche eigener Art wie den aus § 64 S. 1 GmbHG umfasst. Der verständige Versicherungsnehmer kenne – und da hat der BGH sicherlich Recht – nicht die rechtliche Herleitung des Ersatzanspruchs für nach Eintritt der Insolvenzreife geleistete Zahlungen. Vielmehr verstehe selbst eine geschäftserfahrene Person den auf Ausgleich von Zahlungen / Wiederherstellung des früheren Zustands gerichteten Anspruch als Anspruch auf Schadensersatzzahlung und könne von ihm keine dogmatische Einordnung erwartet werden. Zuletzt entspreche die Einbeziehung von Ansprüchen nach § 64 S. 1 GmbHG auch dem Zweck des Abschlusses einer D&O-Versicherung. Damit hat der BGH ebenfalls recht, denn einem Geschäftsleiter ist wenig gedient mit einer Haftpflichtversicherung, die besonders große Schäden bzw. Ansprüche aus besonders komplexen Haftungsvorschriften aus der Ersatzfähigkeit ausschließt.
Die Entscheidung des BGH ist eine große Erleichterung für Geschäftsführer und Vorstände. Diese können nun davon ausgehen, dass – freilich nur bei fahrlässigen Verstößen des Geschäftsleiters – ihre D&O-Versicherung auch Ersatzansprüche wegen Zahlungen nach Insolvenzreife im Regelfall ausgleichen muss. Nichtsdestotrotz sollte hiervon nicht blind ausgegangen werden. Geschäftsführer und Vorstände, zu deren Gunsten eine D&O-Versicherung abgeschlossen wurde oder wird, sollten sich dieses Problemkreises deswegen jedenfalls bewusst sein und die konkrete Versicherungsklausel (die im Einzelfall etwas anders lauten und daher auch anders auszulegen sein kann als die im vom BGH entschiedenen Fall) gegebenenfalls besonders sorgfältig prüfen.
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