Ein ewiges Recht?: BGH zur Dauer des Rechts auf Darlehenswiderruf

In zwei mit Spannung erwarteten Entscheidungen hat der BGH erneut die nahezu ewige Dauer des Widerrufsrechts bei fehlerhaften Widerrufsbelehrungen bestätigt. Dies gilt auch, wenn der Verbraucher den Widerruf aus rein finanziellen Motiven erklärt.

Der Streit zwischen Banken und Sparkassen auf der einen Seite und Verbrauchern auf der anderen Seite um die Zulässigkeit des Kreditwiderrufs tobt seit Jahren.

Auslöser waren die Schrottimmobilien

Der ursprüngliche Anlass für die Streitigkeiten war vor einigen Jahren der häufige Verkauf von Schrottimmobilien an Verbraucher als Kapitalanlagen, die häufig völlig wertlos waren. Schadenersatzklagen wegen Falschberatung führten oft nicht zum Erfolg. Der mögliche Ausweg: Widerruf der geschlossenen Finanzierungsverträge auch noch nach Jahren, da wegen fehlerhafter Widerrufsbelehrungen die Frist zur Ausübung des Widerrufs nicht zu laufen begann.

Widerrufsjoker zieht (fast) immer

Inzwischen haben die Verbraucher den Widerruf bei ganz „normalen“ Immobilienfinanzierungen als Mittel entdeckt, die Finanzierungskosten mithilfe eines Kreditwiderrufs und einer Neufinanzierung zu den jetzt wesentlich günstigeren Kreditmarktbedingungen deutlich zu senken.

So lag auch der Fall in einem der beiden jetzt vom BGH entschiedenen Rechtstreite.

Darlehenswiderruf 7 Jahre nach vollständiger Rückzahlung

Der Kläger hatte noch unter Geltung des Haustürwiderrufsgesetzes im November 2001 einen Darlehensvertrag mit der HSH-Nordbank  zum Zwecke der Finanzierung einer Beteiligung an einer Fondsgesellschaft geschlossen.

  • Die Widerrufsbelehrung war fehlerhaft.
  • Das Darlehen wurde dennoch vollständig abgewickelt und war im Januar 2007 vollständig zurückgeführt.
  • Im Juni 2014 erklärte der Kläger den Widerruf des Darlehensvertrages und forderte Rückzahlung sämtlicher Zinsen und Kosten.

Vorinstanzen weisen Klage ab

Das zunächst zuständige Landgericht wies die Klage mit der Begründung ab, das Widerrufsrecht sei im Hinblick auf den erst sieben Jahre nach vollständiger Vertragsabwicklung erklärten Widerruf verwirkt.

Das OLG wies die Berufung des Klägers mit der Begründung zurück, die Ausübung des Widerrufsrechts sei rechtsmissbräuchlich.

  • Dem Kläger sei es ausschließlich darum gegangen, sich im Nachhinein von einer unvorteilhaften Investition zu lösen.
  • Der Sinn des Widerrufsrechts sei aber, den Verbraucher vor übereilten Entscheidungen zu schützen.
  • Die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Kläger stehe daher in Widerspruch zu Sinn und Zweck des Gesetzes.

Finanzielle Motive allein rechtfertigen nicht das Verdikt des Rechtsmissbrauchs

Der Auffassung des OLG widersprach der BGH vehement.

Der Senat stellte klar, dass das Motiv des Klägers für die Ausübung des Widerrufsrechts nicht schon deshalb zu seinen Lasten berücksichtigt werden dürfe, weil die Ausübung außerhalb des Schutzzweckes des Haustürwiderrufsgesetzes lag.

Gleichzeitig betonte der BGH aber auch, dass die Rechtsinstitute des Rechtsmissbrauchs und der Verwirkung auch im Fall des Widerrufsrechts grundsätzlich Anwendung fänden. Die Vorinstanz habe nicht hinreichend geklärt, ob möglicherweise andere Umstände hinzukämen, die die Bewertung der Ausübung des Widerrufsrechts als rechtsmissbräuchlich rechtfertigen könnten. Außerdem rügte der BGH, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des Haustürwiderrufsgesetzes nicht eindeutig geklärt seien. Der BGH verwies daher den Rechtstreit zur weiteren Aufklärung und Entscheidung an die Vorinstanz zurück (BGH, Urteil v. 12.7.2016, XI ZR 501/15).

BGH bestätigt im Grundsatz Ewigkeitsgeltung des Widerrufsrechts

Im zweiten vom BGH entschiedenen Fall hatte die Sparkasse Nürnberg ihre beiden Kunden anlässlich eines im Jahre 2008 gewährten Darlehens über 50.000 Euro nicht hinreichend über den Beginn der Widerrufsfrist belehrt.

Die Widerrufsbelehrung wich erheblich von der gesetzlichen Musterbelehrung ab. Den Widerruf des Vertragsschlusses erklärten die Kunden im Jahr 2013. Die Vorinstanzen entschieden in diesem Fall unterschiedlich. Das LG nahm Verwirkung an, das OLG hielt den Widerruf für wirksam.

Der BGH sah weder die Voraussetzungen für eine Verwirkung gegeben noch sah der Senat Anhaltspunkte für eine unzulässige Rechtsausübung.

Der BGH stellte eindeutig klar, dass die Frist für den Widerruf nicht zu laufen begonnen habe. Die Sparkasse hätte die Widerrufsbelehrung zwar nachbessern können, dies habe sie aber trotz späterer Kenntnis der Fehlerhaftigkeit nicht getan, so dass der Widerruf auch nach Jahren noch möglich sei. Der Widerruf war in diesem Fall uneingeschränkt wirksam (BGH, Urteil v. 12.7.2016, XI ZR 564/15) .

 

Unsicherheit für Verbraucher noch nicht vollständig beseitigt

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass nach den jetzigen Entscheidungen des BGH

  • die grundsätzliche Ewigkeitsgeltung für die Ausübung des Widerrufsrechts bestätigt wurde,
  • allerdings mit einer wesentlichen Einschränkung: Sowohl das Rechtsinstitut der Verwirkung als auch die Grundsätze von Treu und Glauben, sprich das Rechtsinstitut des Rechtsmissbrauchs, finden auch auf das Widerrufsrecht grundsätzlich Anwendung.

Solange die Entscheidungsgründe nicht veröffentlicht sind, bleiben die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Rechtsinstitute weiterhin unklar. Die Veröffentlichung der vollständigen Entscheidungsgründe wird daher von Banken und Verbrauchern mit Spannung erwartet.

Klagewelle ist wahrscheinlich

Aufgrund einer Gesetzesänderung ist seit dem 21.6.2016 das Widerrufsrecht zu den bis zum 10.6.2010 abgeschlossen Immobilienkreditverträgen erloschen. Die Fehlerquote bei den Widerrufsbelehrungen dieser Verträge lag nach Schätzungen der Stiftung Warentest bei über 80 %. Die Prozesswelle, die nun auf Banken und Sparkassen zukommt, dürfte erheblich sein.

Viele Verbraucher hatten vorsorglich vor dem 21. Juni den Widerruf ihrer alten Kreditverträge erklärt. Nach den jetzigen Entscheidungen des BGH dürften die Aussichten, den Widerruf gerichtlich durchzusetzen, deutlich gestiegen sein. Nach Schätzung der Stiftung Warentest liegt der finanzielle Vorteil für die meisten Verbraucher bei 15-20 % der Kreditsumme.

Aber: Vollständige Sicherheit besteht erst dann, wenn klar ist, unter welchen Voraussetzungen der BGH einen spät erklärten Widerruf für rechtsmissbräuchlich oder verwirkt hält. Verbraucher sollten vor Klageerhebung also noch die vollständige Veröffentlichung der Urteilsgründe des BGH abwarten, aber auch ihre Anschlussfinanzierung im Auge behalten.

 

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