Wann endet die Frist für ein Widerspruchsrecht, über das nicht belehrt wurde?
Dies hat der BGH in einem Grundsatzurteil zum Widerspruch gegen das Zustandekommen eines Rentenversicherungsvertrages entschieden. Im vom BGH entschiedenen Fall hatte der Versicherungsnehmer zum April 1998 einen Rentenversicherungsvertrag abgeschlossen. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation waren ihm mit dem Versicherungsschein ausgehändigt worden.
Versicherungsvertrag nach 10 Jahren gekündigt, hilfsweise widersprochen
Bis zum Mai 2008 zahlte er Versicherungsbeiträge in Höhe von etwas über 9.300 Euro. Im Juni 2008 widersprach er schriftlich dem Vertrag; hilfsweise kündigte er ihn.
Hierauf bestätigte die Versicherung die Kündigung und zahlte ihm einen errechneten Rückkaufswert von 9.331,60 Euro aus.
Klage zunächst erfolglos
Im April 2011 erhob der Versicherungsnehmer Klage und verlangte Rückzahlung sämtlicher von ihm gezahlten Beiträge einschließlich der Zinsen. Die eingeklagte Restforderung belief sich auf 4.580,82 Euro.
Die Versicherung hielt den Widerspruch für verfristet und im übrigen den Rückzahlungsanspruch für verjährt. In erster und zweiter Instanz hatte der Kläger keinen Erfolg. Die Gerichte hielten die Verfristungseinrede der Versicherung für begründet.
Widerspruch ein Jahr nach der ersten Prämienzahlung verfristet
Der BGH rügte die Missachtung seiner Rechtsprechung sowie die Missachtung europäischen Rechts durch die Vorinstanzen. Die für die Entscheidung einschlägige Vorschrift des § 5a VVG a.F. (ersetzt durch § 49 VVG n.F.) bestimmt für den Fall, dass einem Versicherungsnehmer die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation bei Abschluss des Versicherungsvertrages nicht übergeben wurden, der Versicherungsvertrag als abgeschlossen gilt, wenn der Versicherungsnehmer nach einer späteren Übergabe dieser Unterlagen nicht innerhalb von 14 Tagen schriftlich widerspricht. Nach § 5a Abs. 2 VVG beginnt der Lauf der Frist erst, nachdem eine ordnungsgemäße Belehrung über das Widerspruchsrecht stattgefunden hat. Satz 4 der Vorschrift bestimmt jedoch, dass das Recht zum Widerspruch spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.
Grundsatzentscheidung des EuGH übersehen
Auf das gesetzlich geregelte Erlöschen des Widerspruchsrechts spätestens nach Zahlung der ersten Prämie stützen die Vorinstanzen ihre klageabweisenden Entscheidungen. Allerdings hatte der EuGH aufgrund der Lebensversicherungsrichtlinie der EU aus dem Jahr 2002 (2002/83 EG) entschieden, dass dem Verbraucher nach dem Zweck dieser Richtlinie in jedem Fall ein Widerspruchsrecht zu gewähren sei und zwingend eine Belehrung über das Widerspruchsrecht voraussetze.
Aufgrund der Vielfalt des Versicherungsmarktes und der den Versicherungsverträgen typischerweise innewohnenden langfristigen Verpflichtungen dürfe dieses Widerspruchsrecht nicht eingeschränkt werden. Ohne Belehrung könne ein solches Widerspruchsrecht grundsätzlich nicht erlöschen (EuGH, Urteil v. 19.12.2013, C-20912, Rechtssache Endress/Allianz). Die EU-Richtlinie wurde später mehrfach geändert.
Das „ewige“ Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers
In einer späteren Grundsatzentscheidung hat der BGH dann klargestellt, dass entgegen der Regelung des § 5a Abs 2 Satz 4 VVG a.F. das Recht zum Widerspruch grundsätzlich fortbesteht, wenn eine Belehrung nicht erteilt wurde (BGH, Urteil v. 7.5.2014, IV ZR 76/11). Damit wäre vorliegend der Widerspruch auch zehn Jahre nach Abschluss des Versicherungsvertrages noch möglich gewesen.
Die Verjährungsfrist läuft erst ab Erklärung des Widerspruchs
Darüber hinaus entschied der BGH, dass der nach Bereicherungsrecht zu beurteilende Anspruch auf Rückzahlung der Versicherungsbeiträge erst in dem Augenblick entsteht, in dem der Widerspruch erklärt wurde und der bis dahin schwebend unwirksame Versicherungsvertrag endgültig unwirksam wird. Erst mit der endgültigen Unwirksamkeit eines Vertrages könne ein Bereicherungsanspruch entstehen, hier also im Juni 2008. Bei Erhebung der Klage im April 2011 sei der der dreijährigen Verjährungsfrist unterliegende Rückzahlungsanspruch daher noch nicht verjährt gewesen. Da einzelne Fragen zur Ordnungsgemäßheit der Widerspruchsbelehrung sowie zur Höhe des Rückgewährsanspruchs noch nicht vollständig geklärt waren, verwies der BGH den Rechtstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
(BGH, Urteil v. 8.4.2014, IV ZR 103/15).
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