Kündigung eines Vorstandsvertrages aus wichtigem Grund

Bestehen Dienstverhältnisse eines Vorstandes zu einer Muttergesellschaft und einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft, können Pflichtverletzungen gegenüber der einen Gesellschaft auch Kündigungsgründe für das Dienstverhältnis gegenüber der anderen darstellen.

Hintergrund

Der Kläger war zum Vorstandsmitglied der beklagten AG und deren hundertprozentiger Tochtergesellschaft bestellt. Trotz Befristung des Dienstvertrages wurde dem Kläger etwa ein Jahr vor Eintritt der regulären Beendigung fristlos gekündigt. Dies stütze der Aufsichtsrat unter anderem auf eine behauptete Pflichtverletzung, die der Kläger gegenüber der Tochtergesellschaft begangen haben sollte. Während der gerichtlichen Auseinandersetzung, in der der Kläger insbesondere die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung begehrt, machte die Beklagte in zweiter Instanz weitere Kündigungsgründe geltend.

Der Kläger hätte unter anderem zu Zwecken der Anlegertäuschung im Jahresabschluss für das Jahr 2015 Beteiligungen bewusst zu hoch bewertet. Dies war dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden bekannt. Daneben brachte die Beklagte weitere Kündigungsgründe vor, die wohl erst nach regulärem Fristablauf des Dienstvertrages dem Aufsichtsrat zur Kenntnis gelangten (sog. „Nachschieben von Kündigungsgründen“ iSd § 626 I BGB).

Das Urteil des OLG München vom 04.12.2019 - 7 U 2464/18

Das OLG München traf die begehrte Feststellung, dass das mit Dienstvertrag begründete Vorstandsanstellungsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten nicht beendet  worden sei. Zwar können bei bestehenden Dienstverhältnissen eines Vorstands zu einer Muttergesellschaft und einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft Pflichtverletzungen gegenüber der einen Gesellschaft auch Kündigungsgründe für das Dienstverhältnis gegenüber der anderen darstellen. Denn insoweit sei vorstellbar, dass das Vertrauen des zuständigen Organs (hier des jeweiligen Aufsichtsrats) der einen Gesellschaft in den Dienstnehmer auch durch Pflichtverletzungen gegenüber der anderen erschüttert werde, zumal Mutter- und Tochtergesellschaft über ihre jeweiligen Vermögensinteressen (nicht nur rechtlich, sondern auch) wirtschaftlich verbunden seien.

Die erstinstanzlich geltend gemachten Kündigungsgründe vermochten jedoch die außerordentliche Kündigung des Klägers nicht zu rechtfertigen. Gleiches gilt für die in zweiter Instanz nachgeschobenen Kündigungsgründe. Aus Sicht des OLG München sei es bei einem befristeten Dienstverhältnis nicht gerechtfertigt, Kündigungsgründe nachzuschieben, die dem Kündigenden erst bekannt werden, nachdem die Frist für die reguläre Beendigung des Vertrages abgelaufen ist, da bei Bekanntwerden der Kündigungsgründe denknotwendig kein Vertrauen in die weitere Zusammenarbeit mehr zerstört werden könne, wie dies bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen der Fall sei.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen bzgl. der Falschbewertung der Bilanz. Zwar stelle die bewusste Falschbewertung von Aktiva in der Bilanz grundsätzlich einen Grund für eine fristlose Kündigung des Vorstandes dar. Hierüber wäre Sachverständigenbeweis zu erheben gewesen. Dieses Vorbringen war vorliegend jedoch aus prozessrechtlichen Gründen unbeachtlich, da der Aufsichtsrat bereits zum Zeitpunkt der Kündigung unstreitig Kenntnis von der nach Auffassung des Klägers bilanziellen Überbewertung hatte. Die bewusste Falschbewertung der Aktiva der Bilanz hätte von der Beklagten bereits in erster Instanz als außerordentlicher Kündigungsgrund vorgebracht werden müssen (sog. „Präklusion“, § 531 II ZPO).

Anmerkung

Das Urteil des OLG München ist hinsichtlich der Begründung eines außerordentlichen Kündigungsgrundes bei Vorliegen einer groben Pflichtverletzung des Vorstands, unabhängig davon, ob diese gegenüber der Mutter- oder der Tochtergesellschaft begangen wurde, begrüßenswert und entspricht den Bedürfnissen der Praxis. Denn es ist durchaus nachvollziehbar, dass einer Muttergesellschaft die Beibehaltung eines Vorstandsmitglieds nicht zuzumuten ist, sofern dieses gegenüber einer Tochtergesellschaft, zu welcher das Vorstandsmitglied ebenfalls ein Dienstverhältnis unterhält, eine grobe Pflichtverletzung bspw. in Form von Fälschung von Bilanzen oder Annahmen von Schmiergeldern begangen hat.

Gerade die wirtschaftliche Verbundenheit – oder ggfs. die wirtschaftliche Abhängigkeit – der Gesellschaften untereinander rechtfertigt diese Betrachtungsweise. Das OLG München befindet sich damit auch im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Bezug auf außerordentliche Kündigungen von Geschäftsführeranstellungsverträgen: ein außerordentlicher Kündigungsgrund wird bejaht, sofern die grobe Pflichtverletzung seitens des Geschäftsführers nicht in der Gesellschaft, sondern in einer Konzerngesellschaft begangen wurde.

Vorsicht ist jedoch geboten, sofern es um das Nachschieben von Kündigungsgründen geht. Hier nimmt das OLG München eine differenzierende Position ein und weicht insbesondere von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ab, nach welcher der Kündigende Kündigungsgründe, die objektiv bereits zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs gegeben, subjektiv jedoch unbekannt waren, im Prozess grundsätzlich nachschieben darf.

Das OLG München begründet seine Abweichung mit einer divergierenden Interessenlage bei befristeten Verträgen. In diesem Fall führe das Bekanntwerden von Kündigungsgründen nach Ablauf der Frist der regulären Beendigung nicht zu einem Vertrauensbruch, der eine Weiterbeschäftigung unzumutbar mache. Ob diese Sichtweise des OLG München auch bei einer Entscheidung durch den BGH Bestand haben wird, bleibt abzuwarten.

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