Missbrauch der Vertretungsmacht durch den GmbH-Geschäftsführer
Zum Sachverhalt
In dem vom OLG Karlsruhe entschiedenen Fall ging es um die (Vertretungs-)Befugnisse eines Geschäftsführers in einer komplexen Unternehmensgruppe mit Gesellschaften im In- und Ausland. In Deutschland gehörten zwei Kommanditgesellschaften und deren Komplementär-GmbH zur Unternehmensgruppe, im Ausland gab es eine thailändische Limited. Beherrscht wurden all diese Gesellschaften von zwei Eheleuten als Gesellschaftern.
2016 schloss die thailändische Limited mit einer Kapitalgesellschaft aus Hongkong (der späteren Beklagten) einen Beratungsvertrag ab. Danach sollte die Hongkong-Gesellschaft die Geschäftsführung bei den deutschen Gesellschaften der Unternehmensgruppe übernehmen. In Umsetzung dieses Vertrags wurde der Direktor der Hongkong-Gesellschaft zum einzelvertretungsberechtigten und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiten Geschäftsführer der Komplementär-GmbH bestellt und in das Handelsregister eingetragen.
Der Direktor der Hongkong-Gesellschaft nutzte seine Doppelstellung allerdings anders, als sich die Eheleute dies vorgestellt hatten. Er erklärte für die deutschen Gesellschaften einen Schuldbeitritt zum Beratungsvertrag zwischen der thailändischen Limited und der Hongkong-Gesellschaft, ohne dies mit den Eheleuten abzustimmen. Der Schuldbeitritt wurde 2017 in einer sofort vollstreckbaren, notariellen Urkunde verbrieft.
Der Beratungsvertrag zwischen der thailändischen Limited und der Hongkong-Gesellschaft wurde später gekündigt. Die thailändische Limited stellte ihre Zahlungen an die Hongkong-Gesellschaft ein. Daraufhin leitete die Hongkong-Gesellschaft aus der notariellen Urkunde aus dem Jahr 2017 die Zwangsvollstreckung gegen die deutschen Gesellschaften ein. Neben einer Kontenpfändung drohte die Zwangsversteigerung des Betriebsgrundstücks. Die deutschen Gesellschaften beantragten daraufhin gerichtlich, die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde für unwirksam zu erklären. In der ersten Instanz hatten sie damit Erfolg, woraufhin die Hongkong-Gesellschaft Berufung einlegte.
Der Beschluss des OLG Karlsruhe vom 25.08.2021 (Az. 9 U 29/19)
Das OLG Karlsruhe gab klar zu verstehen, dass es keine Erfolgsaussichten für die Berufung sah. Die Vorinstanz sei zu Recht von einer Unwirksamkeit der Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde ausgegangen. Der Direktor der Hongkong-Gesellschaft habe bei dem Schuldbeitritt seine ihm als Geschäftsführer der deutschen Komplementär-GmbH eingeräumte Vertretungsmacht missbraucht. Durch den Schuldbeitritt der deutschen Gesellschaften habe er diesen zugunsten der von ihm kontrollierten Hongkong-Gesellschaft erhebliche wirtschaftliche Nachteile zugefügt. Ein solches Verhalten sei sittenwidrig.
Praxishinweis
Die Geschäftsführer vertreten die GmbH im Rechtsverkehr. Die gesetzliche Regelung sieht eine gemeinschaftliche Vertretungsbefugnis aller Geschäftsführer vor; sie können aber einzeln zur Vertretung ermächtigt werden. Sie können zudem von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit werden, was heißt, dass sie die GmbH bei Rechtsgeschäften mit sich persönlich und bei Rechtsgeschäften mit einer anderen, ebenfalls von ihnen vertretenen Person oder Gesellschaft vertreten können.
Darüber hinaus sind Beschränkungen der Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer im Außenverhältnis nicht möglich (§ 37 Abs. 2 S. 1 GmbHG). Der Rechtsverkehr soll darauf vertrauen können, dass die GmbH von den im Handelsregister eingetragenen Personen wirksam vertreten wird. Beschränkungen der Geschäftsführerbefugnisse (z.B. durch die allgemeine Pflicht zur Wahrung der Interessen der GmbH, Weisungen der Gesellschafter, Vorgabe bestimmter Schwellenwerte oder Zustimmungskataloge) gelten deswegen im Grundsatz nur im Innenverhältnis zwischen GmbH und Geschäftsführer. Verstöße können so zwar eine Abberufung oder Schadensersatzpflichten nach sich ziehen, berühren die Wirksamkeit der abgeschlossenen Verträge jedoch im Normalfall nicht.
Eine wichtige Ausnahme von diesem Grundsatz ist im Beschluss des OLG Karlsruhe eindrücklich dargestellt – der sog. Missbrauch der Vertretungsmacht (teilweise auch mit den Begrifflichkeiten „Kollusion“ und „Evidenz“ umschrieben). Ein Missbrauch der Vertretungsmacht liegt vor, wenn der Geschäftsführer durch die Überschreitung seiner Geschäftsführerbefugnisse die Gesellschaft bewusst schädigt und der Vertragspartner dies weiß oder sich ihm dieses Wissen zumindest hätte aufdringen müssen. Ein Missbrauch der Vertretungsmacht führt jedenfalls zur schwebenden Unwirksamkeit des abgeschlossenen Geschäfts, d.h. dieses ist unwirksam, wenn es nicht von den zuständigen Personen (im Regelfall den Gesellschaftern) genehmigt wird. Wenn der Vertragspartner überhaupt nicht schutzwürdig ist (z.B. weil er an der Schädigung sogar bewusst mitgewirkt hat), kann der Vertrag sogar unheilbar nichtig sei.
So nahm dann auch das OLG Karlsruhe einen Missbrauch der Vertretungsmacht an, weil der vom Geschäftsführer kontrollierten Hongkong-Gesellschaft durch den Schuldbeitritt in der notariellen Urkunde bewusst erhebliche wirtschaftliche Vorteile (in Form einer erheblichen Mehrung der Zwangsvollstreckungsmöglichkeiten) zulasten der deutschen Gesellschaften entstanden waren. Weil der Hongkong-Gesellschaft dies bewusst war (sie wurde ja vom gleichen Geschäftsführer vertreten), war der Vertrag sogar nichtig.
Natürlich handelte es sich bei dem vom OLG Karlsruhe entschiedenen Sachverhalt um einen besonders offensichtlichen Fall des Missbrauchs der Vertretungsmacht. Das Thema ist trotzdem praxisrelevant und zwar gerade für Geschäftsführer, die von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit sind und daher bei Vertragsabschlüssen auf mehreren Seiten als Vertreter oder Vertragspartei stehen können. Sie sollten – dies schon, um Sanktionen im Innenverhältnis durch die GmbH zu vermeiden – interne Beschränkungen ihrer Geschäftsführungsbefugnisse immer beachten und sich um die Einholung der erforderlichen Genehmigungserklärungen (notfalls im Nachhinein) bemühen. Umgekehrt trifft zwar Vertragspartner im Rechtsverkehr keine aktive Nachforschungspflicht zu internen Geschäftsführungsbeschränkungen auf Seiten seines Vertragspartners. Wer beim Vertragsabschluss den Eindruck gewinnt, dass der Geschäftsführer seines Vertragspartners interne Beschränkungen missachtet, sollte sich jedoch gegebenenfalls rückversichern, um mindestens eine schwebende Unwirksamkeit des Geschäfts zu vermeiden.
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