Zur Qualifizierung eines Angestellten als faktischer Geschäftsführer
Hintergrund
Der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der GmbH bestellt, bei welcher der Beklagte als Angestellter tätig war. Nach Zahlungsunfähigkeit der GmbH leistete der Beklagte im Namen der GmbH verschiedene Zahlungen in Höhe von insgesamt 426.367,68 EUR. Der Kläger begehrt vom Beklagten als (angeblich) faktischem Geschäftsführer nun die Zahlung von 426.367,68 EUR gemäß § 64 GmbHG. Der Beklagte sei aufgrund seines Auftretens im Außenverhältnis als Geschäftsführer und der Verfügung über zentrale Steuerungsgewalt in allen Bereichen zum Schadensersatz wegen Insolvenzverursachung verpflichtet.
Das Urteil des OLG München vom 17.07.2019 - 7 U 2463/18
Das OLG München wies den Zahlungsanspruch des Klägers zurück. Zwar kommt eine Haftung des faktischen Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG grundsätzlich in Betracht. Der Kläger habe jedoch bereits nicht ausreichend dargelegt, dass der Beklagte faktischer Geschäftsführer gewesen sei.
Für die Beurteilung der Frage, ob jemand faktisch wie ein Organmitglied gehandelt und als Konsequenz seines Verhaltens sich wie ein nach dem Gesetz bestelltes Organmitglied zu verantworten habe, komme es auf das Gesamterscheinungsbild seines Auftretens an. Danach sei es allerdings nicht erforderlich, dass der Handelnde die gesetzliche Geschäftsführung völlig verdränge. Entscheidend sei vielmehr, dass der Betreffende die Geschicke der Gesellschaft - über die interne Einwirkung auf die satzungsmäßige Geschäftsführung hinaus - durch eigenes Handeln im Außenverhältnis, das die Tätigkeit des rechtlichen Geschäftsführungsorgans nachhaltig prägt, maßgeblich in die Hand genommen habe. Für das OLG München war die pauschale Behauptung der faktischen Geschäftsführung unter Auflistung der Tätigkeitsbereiche – Werbung, Akquise, Preiskalkulation, Angebotsofferten, Leistungserbringung, Zahlungsaufträge, Sozial- und Steuerabgaben, Buchhaltung – nicht ausreichend für die Bejahung der haftungsbegründenden Stellung des faktischen Geschäftsführers.
Anmerkung
Das OLG München befindet sich in einer Linie mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und bestätigt in seinem Urteil, dass es für die Frage, ob dem Handelnden eine Stellung als faktischer Geschäftsführer zukommt, insbesondere auf das Gesamterscheinungsbild des Auftretens des Handelnden ankommt. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass der Handelnde tatsächlich im Außenverhältnis auf die Geschäfte der Gesellschaft einwirkt und dies für Dritte erkennbar ist. Die bloße Möglichkeit der Einflussnahme oder die tatsächliche Einflussnahme auf die Geschäftsführer im Innenverhältnis reichen grundsätzlich nicht aus.
Auch wenn die Hürde für die Bejahung der Stellung als faktischer Geschäftsführer regelmäßig als äußerst hoch einzustufen ist, ist für Angestellte, die nach außen ohne förmliche Bestellung wie ein Geschäftsführer auftreten, dennoch Vorsicht geboten.
Da der faktische Geschäftsführer nach § 64 GmbHG für Zahlungen der GmbH, die nach insolvenzreife geleistet werden, persönlich in Anspruch genommen werden kann, ergeben sich hieraus ggfs. bislang unbemerkte Haftungsrisiken. Gleiches gilt nach obergerichtlicher Rechtsprechung, sofern der faktische Geschäftsführer Pflichten gegenüber der GmbH verletzt, § 43 II GmbHG. Erschwerend kommt hinzu, dass der faktische Geschäftsführer ggfs. mit seinem Privatvermögen haftet, sofern sein Handeln nicht von einem etwaigen Versicherungsschutz abgedeckt ist (D&O Versicherung).
Weitere News zum Thema:
Haftung des faktischen Geschäftsführers nach § 43 Abs. 2 GmbHG analog
BGH zur Problematik des faktischen Geschäftsführers
____________________________________________________
Seminar: Rechte und Pflichten des GmbH-Geschäftsführers
Inhalte des Seminars sind u. a. Rechtsgrundlagen
- zu Stellung und Bestellung des Geschäftsführers.
- Arbeitsrecht und die Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Vorschriften auf GmbH-Geschäftsführer (z. B. BUrlG, EntgFZG),
- die Haftung des Geschäftsführers: Risikomanagement, Haftungsbegrenzung, D&O-Versicherungen.
- Der Umgang mit Unternehmenskrisen bis hin zum Insolvenzfall (§ 64 GmbHG),
- die Beendigung der Geschäftsführerstellung und des Vertrags.
- Wettbewerbsverbote
___________________________________
-
Italienische Bußgeldwelle trifft deutsche Autofahrer
2.172
-
Wohnrecht auf Lebenszeit trotz Umzugs ins Pflegeheim?
1.7342
-
Gerichtliche Ladungen richtig lesen und verstehen
1.635
-
Klagerücknahme oder Erledigungserklärung?
1.613
-
Überbau und Konsequenzen – wenn die Grenze zum Nachbargrundstück ignoriert wurde
1.471
-
Wie kann die Verjährung verhindert werden?
1.400
-
Brief- und Fernmelde-/ Kommunikationsgeheimnis: Was ist erlaubt, was strafbar?
1.368
-
Wann muss eine öffentliche Ausschreibung erfolgen?
1.305
-
Verdacht der Befangenheit auf Grund des Verhaltens des Richters
1.136
-
Formwirksamkeit von Dokumenten mit eingescannter Unterschrift
1.0461
-
Risiko der Betriebsstättenbegründung durch mobiles Arbeiten im Ausland
18.11.2024
-
Handelsregistervollmachten – Anforderungen und Umgang bei Rückfragen des Handelsregisters
12.11.2024
-
Datenschutzbehörden müssen nicht zwingend Sanktionen verhängen
07.11.2024
-
Typisch stille Beteiligung an Kapitalgesellschaften – Unterschiede zwischen GmbH und AG
06.11.2024
-
Bundesnetzagentur wird nationale Marktüberwachungsbehörde bei der KI-Aufsicht
05.11.2024
-
Neue Bundesverordnung zur „Cookie-Einwilligung“
31.10.2024
-
Zahl der Datenschutz-Bußgeldverfahren steigt
24.10.2024
-
Untersuchungs- und Rügeobliegenheit im B2B-Bereich
23.10.2024
-
Fernmeldegeheimnis gilt nicht für private E-Mails und Telefonate am Arbeitsplatz
17.10.2024
-
Wirecard: Geschädigte Aktionäre sind keine nachrangigen Gläubiger!
16.10.2024