Reichweite einer Rügeobliegenheits-Klausel sowie Rügeobliegenheit des Käufers außerhalb § 377 HGB
Hintergrund
Ein nicht als Kaufmann im Handelsregister eingetragener Winzer verkaufte gepanschten Traubensüßmost an einen Weinkommissionär. Er lieferte den Most unmittelbar an dessen Auftraggeber (den Kommittent), eine Weinkellerei.
Die dabei einbezogenen Geschäftsbedingungen des Bundesverbands Deutscher Weinkommissionäre (im Folgenden: „AGB“) enthielten folgende Regelungen:
1. Die nachstehenden Geschäftsbedingungen gelten für den Geschäftsverkehr des Weinkommissionärs sowohl mit dem Käufer (mit dem „Käufer“ ist der Auftraggeber des Weinkommissionärs, der Kommittent gemeint), wie dem Verkäufer (mit „Verkäufer“ ist in der Regel der Winzer gemeint) […]
8. Beanstandungen bei Bezug von Wein im Fass, Trauben, Maische oder Most sind nur innerhalb von 24 Stunden nach Eintreffen der Ware zulässig. Der Käufer ist verpflichtet, vor dem Abladen die Ware zu prüfen. […] Das Abladen vom LKW gilt als Annahme der Ware, falls nichts anderes ausdrücklich vereinbart wird. […]
Als sich später herausstellte, dass der Most gepanscht war, verbot die zuständige Behörde den weiteren Verkauf eines Teils des damit hergestellten Weins. Als der Kommissionär daraufhin gegen den Winzer Schadensersatzansprüche geltend machte, wandte dieser ein, die Ware sei nicht rechtzeitig beanstandet worden.
Der Beschluss des BGH vom 2.7.2019 (VIII ZR 74/18)
In seinem Beschluss befasste sich der BGH u.a. mit zwei praxisrelevanten Fragen: (1.) der Reichweite und Auslegung einer AGB-Klausel betreffend einer Rügeobliegenheit und (2.) der Frage des Bestehens von Rügeobliegenheiten außerhalb von § 377 HGB.
Der BGH entschied, dass Ziff. 8 Satz 1 der AGB dahingehend auszulegen ist, dass die dort genannte Rügefrist lediglich für den Kommittenten, nicht hingegen für den Kommissionär gelten soll und daher im Verhältnis zwischen dem Winzer und dem Kommissionär nicht gilt.
Ziff. 8 der AGB stelle eine einheitliche Regelung dar, die im Gesamtzusammenhang ausgelegt werden müsse. Satz 2 spricht ausdrücklich nur vom „Käufer“. Dieser ist somit allein Adressat der Regelung in Ziff. 8. „Käufer“ ist gem. Ziff. 1 der AGB der Auftraggeber des Kommissionärs, also der Kommittent. Der Kommissionär ist daher nicht „Käufer“ in diesem Sinne. Für ihn gilt daher die Rügeobliegenheit gem. Ziff. 8 der AGB nicht.
Der BGH wies in seiner Entscheidung aber darauf hin, dass im Einzelfall auch außerhalb von § 377 HGB Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten gelten können. Dies könne sich jeweils aus den besonderen Umständen ergeben, insbesondere aus Vereinbarungen, Handelsbräuchen oder sonstigen Verkehrssitten, im Einzelfall aber auch § 242 BGB, also aus Treu und Glauben. Als Beispiel nannte der BGH die Lieferung von Waren, die eine schnelle Abwicklung von Mängelanzeigen erfordern. Das sind vor allem Waren, die raschen Veränderungen unterliegen.
Anmerkung
Praxisrelevant ist insbesondere der Hinweis des BGH, dass Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten auch außerhalb von § 377 HGB bestehen können.
Gerade bei Kaufverträgen in der Landwirtschaft sind die Vorschriften des HGB häufig nicht anwendbar, da viele Landwirte nicht als Kaufmann im Handelsregister eingetragen sind. Weil es sich häufig um Ware handelt, deren Zustand sich rasch verändert, kann ein überwiegendes Interesse des Landwirts daran bestehen, dass der Käufer als Kaufmann dennoch eine dem § 377 HGB entsprechende Untersuchungs- und Rügeobliegenheit hat.
Daher sollten Käufer landwirtschaftlicher Erzeugnisse und anderer raschen Veränderungen unterliegender Waren, die Kaufleute im Sinne des HGB sind, gelieferte Ware auch dann rasch untersuchen und etwa bestehende Mängel unverzüglich rügen, wenn der Verkäufer kein Kaufmann ist. Sonst besteht das Risiko, dass Mängelansprüche aufgrund der Verletzung einer Rügeobliegenheit ausgeschlossen sind.
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