Gerichte uneinig zu Ansprüchen bei Autokauf nach Bekanntwerden des Dieselskandals
Im Februar 2016 kaufte der Kläger einen gebrauchten VW Caddy Trendline zum Preis von 14.900 EUR. Dieser war im Jahr 2012 zugelassen worden und wies zum Kaufzeitpunkt eine Laufleistung von rund 48.000 km auf. Zum Schluss der mündlichen Verhandlung betrug die Laufleistung rund 104.000 km.
Wagen war von Abgasmanipulation betroffen, Software-Updatewurde durchgeführt
In dem Auto war ein Dieselmotor mit der Typenbezeichnung EA 189 verbaut, welcher von der Abgasmanipulation betroffen war. Das von dem VW Konzern entwickelte Software-Update führte der Kläger ein Jahr später, im Februar 2017, durch. Mit außergerichtlichem anwaltlichen Schreiben forderte der Kläger VW erfolglos auf, den Kaufpreis in Höhe von 14.900,00 € Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs zzgl. den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu zahlen.
Illegale Abschalteinrichtung war zum Zeitpunkt des Kaufes bereits bekannt
Die Beklagte beantragte Klageabweisung und führt unter anderem aus, dass der Kläger vor dem Kauf aufgrund der Ad-hoc Mittteilung des VW-Konzerns am 22. September 2015 und weiterer Medienberichte über die Umstände und die Verwendung der Software informiert gewesen sei.
Eine Täuschungshandlung habe daher nicht vorgelegen. In erster Instanz hatte das Landgericht Oldenburg die Klage abgewiesen, da es aufgrund der Offenlegung der Softwareproblematik durch die Beklagte an einem Täuschungs- bzw. Schädigungsvorsatz zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses gefehlt habe. Die Beklagte habe aufgrund der monatelangen Berichterstattung davon ausgehen können, dass alle Käufer von Dieselfahrzeugen spätestens Ende 2015 durch Eingabe der FIN auf der Homepage des Konzerns in der Lage gewesen seien, die Betroffenheit eines kaufinteressanten Fahrzeugs vor der Kaufentscheidung zu überprüfen.
Tatzeitpunkt war Inverkehrbringen des Autos mit der Schummelsoftware
Dies sah das OLG Oldenburg anders und gab der Berufung des Klägers überwiegend statt. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz sei der Vorsatz der Beklagten durch die Ad-hoc Mitteilung bzw. die Pressemitteilung entfallen. Für die Frage, ob die Beklagte den Kläger vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe, sei vielmehr auf den Tatzeitpunkt, den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Motors, abzustellen. Diese Situation entspreche dem sog. beendeten Versuch im Strafrecht, bei welchem eine Strafbarkeit nur dann entfalle, wenn der Täter den Taterfolg verhindere, so das OLG weiter.
Nachträgliche Pressemitteilungen zur Abgasmanipulation ändern nichts an der zivilrechtlichen Haftung
Nachträgliche Änderungen in Vorsatz und Gesinnung oder aufklärende Maßnahmen haben auf die zivilrechtliche Haftung keinen Einfluss, wenn der Schaden dennoch eintrete. Somit sei es auch nicht sachgerecht, dem geschädigten Käufer das Risiko, dass einzelne Aufklärungsmaßnahmen der Beklagten den Käufer nicht erreichen, aufzubürden.
Ersatzanspruch richtet sich daher auf negatives Interesse
Der Ersatzanspruch des Klägers richte sich daher auf das negative Interesse. Die Beklagte habe den Kläger so zu stellen, wie er vermögensmäßig stünde, wenn er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen hätte. Der Kläger könne daher die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs verlangen. Er müsse sich jedoch im Wege des Vorteilsausgleich die von ihm gezogenen Nutzungen in Höhe von knapp 3300 € anrechnen lassen. Zudem habe er einen Anspruch auf Deliktszinsen in Höhe von 4% ab Zahlung des Kaufpreises.
(OLG Oldenburg, Urteil v. 16.01.2020, 3 U 24/18).
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Anmerkung: OLG München vertritt Gegenmeinung zu Kauf nach Bekanntwerden des Dieselskandals
Die entgegengesetzte Ansicht vertritt das OLG München im Urteil v. 20.01.2020, 21 U 5510/19. Es wies eine entsprechende Klage mit folgender Begründung ab.
Ein Anspruch des Klägers nach § 826 BGB scheitert bereits daran, dass der Senat keinen Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten der Beklagten und dem Eintritt eines etwaigen Schadens beim Kläger sieht und zudem auch zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Erwerbs des Fahrzeugs, hier im April 2016, ein entsprechender Schädigungsvorsatz bei der Beklagten nicht (mehr) angenommen werden kann. Auf eine konkrete Kenntnis des Klägers, dass gerade der von ihm erworbene Wagen vom Abgasskandal betroffen war, kommt es damit nicht an.
(1) Es kann dahinstehen, ob der Beklagten ein sittenwidriges Verhalten vorzuwerfen ist oder nicht, denn die Beklagte hatte jedenfalls im Zeitpunkt, als der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug erworben hat, ausreichende Abwehrmaßnahmen zur Verhinderung eines weiteren Schadenseintritts getroffen. Die V.AG als Konzernmutter der Beklagten hatte am 22. September 2015 eine an den Kapitalmarkt gerichtete ad hoc Mitteilung herausgegeben, in der sie über die Dieselproblematik informierte und mitteilte, dass "die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen Konzerns vorhanden" sei. Nachdem diese Ad-hoc-Mitteilung gemäß § 15 WpHG vom 22. September 2015 nicht von der Beklagten stammte, sondern von der Konzernmutter und sich an den Kapitalmarkt und nicht die allgemeine Öffentlichkeit richtete, dürfte sie noch nicht genügen, um die - unterstellte - Zurechenbarkeit und den - ebenfalls unterstellten - Vorsatz bei der Beklagten entfallen zu lassen.
Hinzu kommt aber eine unmittelbar anschließende umfassende Information der Öffentlichkeit durch die Beklagte selbst: Sie hat in einer Mitteilung vom 2. Oktober 2015 die Presse über die Dieselproblematik informiert und eine in zahlreichen Medien erwähnte Internetwebseite geschaltet, über die sich die Fahrzeughalter informieren konnten, ob ihr konkretes Fahrzeug mit der fraglichen Software-Konfiguration ausgestattet ist....
2) Zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Kaufvertrages sieht der Senat auch keinen Schädigungsvorsatz der Beklagten, weil im Hinblick auf die Offenlegung der maßgeblichen Aspekte der Manipulation durch die Pressemitteilungen und die Informationen an die Halter von betroffenen Fahrzeugen nicht (mehr) davon ausgegangen werden kann, dass die Beklagte die Schädigung des Klägers in ihren Willen aufgenommen, für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat.
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