Können Dieselkäufer durch Widerruf des Finanzierungsvertrags den Kaufvertrag kippen?
Dieselgate schlug hohe Wellen und beschäftigt Hersteller, Gerichte und Diesel-Eigentümer. Ob die von VW angebotene Umrüstung durch eine Ergänzungssoftware eine angemessene Nachbesserung ist, ist umstritten. Viele Käufer wollen die Fahrzeuge nicht behalten.
Gerichte in der Frage der Dieselfahrzeuge uneinig
Die Gerichte beantworten die Frage, ob die in den Dieselfahrzeugen eingebaute „Abgas-Manipulations-Software“ als rücktrittsbegründender Mangel der Kaufsache zu bewerten ist, allerdings bisher sehr unterschiedlich.
Die Erfolgsaussichten einer hierauf gestützten Schadensersatz- oder Rückabwicklungsklage Klage sind unsicher -> Niederlage vor Gericht für die Diesel-Käufer von VW.
Königsweg aus dem Dieselkaufvertrag?
Zur Zeit bieten spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien Käufern von Dieselfahrzeugen im Internet im großen Stil ihre Dienstleistungen zur Geltendmachung ihrer Rechte gegenüber den Autoherstellern, allen voran gegen den VW-Konzern, an und setzen dabei nicht auf den Kaufmangel sondern auf den Finanzierungsvertrag.
Fehlerhafte Widerrufsbelehrung als Einstieg in den Ausstieg?
Die Anwaltskanzleien kolportierten, den Stein der Weisen gefunden zu haben und sehen einen Ausweg in dem bei finanzierten Kfz Kaufverträgen grundsätzlich bestehenden Widerrufsrecht.
Autokäufern wird in den Medien massiv dazu geraten, die von ihnen geschlossenen Verträge von der jeweiligen Kanzlei auf die Möglichkeit der nachträglichen Ausübung des Widerrufsrechts überprüfen zu lassen.
Widerruf soll Prozessrisiko minimieren
Die dahinter steckende, aus Immobiliendarlehen übernommene Schachzug:
- Finanzierungsvertrag und Kfz-Kaufvertrag sind in der Regel sogenannte verbundene Verträge,
- das hat zur Folge, dass die Unwirksamkeit des einen Vertrages
- gemäß § 358 BGB die Bindungswirkung auch des anderen Vertrages entfallen lässt.
Diese Rechtsfolge könnten Diesel-Käufer - aber nicht nur die - über den Widerruf des Finanzierungsvertrages auslösen. Der Finanzierungsvertrag kann grundsätzlich in den ersten 14 Tagen nach Abschluss widerrufen werden. Das wäre für die meisten zu spät. Doch über diese Widerrufsmöglichkeit ist der Käufer gesetzlich zwingend vom Kreditgeber zu belehren.
Die Widerrufsbelehrungen sind häufig fehlerhaft
Die Vorgaben des Gesetzgebers an die Formulierung von Widerrufsbelehrung enthalten für die Kreditinstitute einige Fallstricke.
Nicht wenigen Banken sind bei der Formulierung Fehler unterlaufen mit der Folge, dass für die Kunden nach der Rechtsprechung auch noch Jahre nach Abschluss des Kreditvertrages die Möglichkeit zum Widerruf aufrechterhalten bleibt (BGH, Urteil v. 12.7.2016, XI ZR 501/15). Einiges spricht dafür, dass auch der VW-Bank und den mit ihr verbundenen Banken Fehler bei der Widerrufsbelehrung unterlaufen sind.
Widerrufsbelehrungen zum Teil verwirrend
So haben die VW- und auch die Audi-Bank den nach der BGB-Info-VO vorgegebenen Mustertext der Widerrufsbelehrung nicht wörtlich, sondern in leicht abgewandelter Form verwendet.
Etwa wird zum Beginn der Widerrufsfrist in vielen Verträgen formuliert: „Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrages, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z.B. Angabe zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angaben zur Vertragslaufzeit) erhalten hat“. Ähnliche Formulierungen haben Banken bei Immobiliendarlehensverträgen verwendet. Hierzu existieren einige Urteile der Oberlandesgerichte, die diese Art der Belehrung als Verwirrung des Kunden und damit als rechtlich unwirksam bewertet haben (OLG München, Urteil v. 21.5.2015, 17 U 334/15).
Die meisten Autobanken sind betroffen
Weitere Fehler der VW-Bank-Belehrung werden darin gesehen, dass diese
- die Darlehensart nicht nennt,
- die Angabe zur Europäischen Zentralbank als Aufsichtsbehörde nicht enthalten ist,
- das Kündigungsverfahren unter Verstoß gegen Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB a.F. nicht hinreichend dargestellt wird.
- die Berechnung für die Vorfälligkeitsentschädigung nicht konkret genug ist,
- unter Verstoß gegen Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 1 EGBGB a.F. unzutreffende Angaben zu den Widerrufsfolgen, insbesondere auch dem möglichen Wertverlust gemacht würden.
Ähnliche Probleme weisen die Kreditverträge der Santander-Bank und vieler weitere Autobanken auf.
Betroffen sind die nach dem 10.10.2010 abgeschlossen Kreditverträge.
Folgen des Widerrufs
Grundsätzlich erhält der Käufer im Fall des Widerrufs allerdings nicht den vollen Kaufpreis zurück, vielmehr muss er sich einen anteiligen Betrag für die Nutzung des Fahrzeugs anrechnen also abziehen lassen.
Für die Berechnung der Nutzungsentschädigung sind Alter des Fahrzeuges sowie die Laufleistung die maßgeblichen Kriterien.
Die Rechtsprechung geht heute in der Regel von einer durchschnittlichen Laufleistung eines Fahrzeuges von 250.000 km aus, dies kann im Einzelfall je nach Art des Fahrzeuges aber variieren.
Der Käufer muss also im jeweiligen Einzelfall entscheiden, ob sich der Widerruf für ihn vor diesem Hintergrund lohnt. Als Faustregel kann gelten.
Der Widerruf ist umso lohnender, je geringer die bereits zurückgelegte Fahrstrecke ist.
Widerruf besonders lohnend für nach dem 12.6.2014 geschlossene Verträge
Eine wichtige Neuerung für Autokäufer ist die ab 13.6.2014 in Kraft getretenen Umsetzung der Verbraucherrichtlinie der EU 2011/83/EU (§§ 355 ff BGB). Hiernach hat der Verbraucher im Rahmen der Rückabwicklung eines Vertrages beispielsweise für einen eingetretenen Wertverlust nur unter bestimmten Voraussetzungen aufzukommen. Bei einem infolge eines Widerrufs eines nach dem 12.6.2014 geschlossenen Finanzierungsvertrags unwirksam gewordenen Kfz-Kaufvertrag bestehen durchaus Aussichten, dass der Verbraucher nicht einmal Ersatz für die gezogenen Nutzungen leisten muss, d.h. er hätte in diesem Fall möglicherweise über Jahre das Fahrzeug kostenlos genutzt.
Drohende Klagewelle gegen Automobilhersteller
Vor diesem Hintergrund könnte sich für die Fahrzeughersteller hier eine unangenehme Klagewelle anbahnen. Spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien rühren im Netz bereits laut die Werbetrommel für die Erklärung eines solchen Widerrufs und gegebenenfalls eine anschließende Klage.
Laut Stiftung Warentest hat allein die VW-Bank über 2 Millionen Finanzierungsverträge im Bestand mit einem Gesamtvolumen von deutlich über 20 Milliarden Euro.
Stiftung Warentest vermutet, dass ein erheblicher Teil davon wegen unzureichender Verbraucherinformationen widerruflich ist. Eine Klagewelle könnte also für VW und andere Automobilhersteller richtig teuer werden.
Erfolgsaussichten von Klagen schwer abschätzbar
- Die VW-Bank hat sich inzwischen zu der Problematik geäußert.
- Sie verneint rechtlich begründete Ansprüche der Kunden wegen fehlerhafter Widerrufsbelehrungen.
- Die Bank verweist darauf, dass einige Klagen von Kunden bereits rechtskräftig abgewiesen worden seien.
Stiftung Warentest kontert, dass es sich bei den abgewiesenen Klagen im wesentlichen um Fälle handele, in denen Kunden ihren Vertrag erst lange nach der Abwicklung widerrufen hätten. Tatsächlich sind die Erfolgsaussichten einer solchen Klage schwer einschätzbar. Es fehlt bisher eine höchstrichterliche Entscheidung zu der Problematik.
Bei Widerruf ist außergerichtliche Einigung nicht ausgeschlossen
Die große Frage ist, ob der BGH seine bisherige Rechtsprechung zu den im wesentlichen auf Immobilienfinanzierungen zugeschnittenen Entscheidungen 1:1 auf Finanzierungsverträge im Zusammenhang mit Kfz-Kaufverträgen überträgt.
Das damit verbundene Risiko trägt der Kunde, der den Weg des Widerrufs mit einer anschließenden gerichtlichen Klage einschlägt. Nach bisheriger Erfahrung bestehen im Falle einer Widerrufserklärung aber auch gute Aussichten auf einen angemessenen außergerichtlichen Einigungsvorschlag seitens der Automobilhersteller. Eine verbraucherfreundliche Einigung kann aber durchaus auch ein Erfolg für den Kunden sein.
Hintergrund:
In der Vergangenheit hat der BGH häufig Widerrufsbelehrungen aus inhaltlichen Gründen für ungültig erklärt. In der Folge haben die Verbraucher den Widerruf bei ganz „normalen“ Immobilienfinanzierungen als Mittel entdeckt, die Finanzierungskosten mithilfe eines Kreditwiderrufs und einer Neufinanzierung zu den jetzt wesentlich günstigeren Kreditmarktbedingungen deutlich zu senken.
Für zahlreiche Darlehensverträge aus den Jahren 2002 bis 2010 hat dies zur Folge, dass den Darlehensnehmern ein zeitlich unbegrenztes Widerrufsrecht zustand. Das „ewige Widerrufsrecht“ für diese Altverträge endete allerdings am 21.6.2016. Doch es gab Nachfolgemodelle ->Der Widerrufsjoker ist wieder im Spiel.
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