Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft im Wesentlichen verfassungsrechtliche Aspekte der Zurückweisung einer Berufung im Beschlussverfahren nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl I, S. 1887, geänd. 3138). Sie richtet sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 6. Juni 2002 – 2 U 31/02 – (auszugsweise veröffentlicht in JURIS), durch den eine Berufung gegen ein Räumungsurteil zurückgewiesen wurde. Das Berufungsgericht war insbesondere davon überzeugt, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) habe. Der Gesetzgeber habe die Erforderlichkeit einer „offensichtlichen” Unbegründetheit der Berufung als Voraussetzung für die einstimmige Zurückweisung gerade nicht in das Gesetz aufgenommen; die Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO sei nicht auf Fälle beschränkt, in denen die fehlende Erfolgsaussicht „besonders deutlich ins Auge” springe.
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor. Weder kommt ihr grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte des Beschwerdeführers angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die Kammer kann offen lassen, ob hier der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde der in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende allgemeine Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegensteht, weil es dem Beschwerdeführer zumutbar sein könnte, vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde durch eine Gegenvorstellung eine Korrektur der geltend gemachten Verletzung von Prozessgrundrechten zu erwirken (vgl. BVerfGE 63, 77 ≪78 f.≫; 73, 322 ≪325 ff.≫; BGH, NJW 2002, S. 1577).
Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Auf der Grundlage des Sachvortrags des Beschwerdeführers ergibt sich keine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
Diese grundrechtsähnliche Gewährleistung gewährt einen subjektiven Anspruch auf den gesetzlichen Richter. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeits- und Prozessnormen im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG jedoch nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind, also die Verfahrensvorschrift willkürlich und unrichtig angewandt wurde (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪195 f.≫; 86, 133 ≪143≫; Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl. Rn. 11 m.w.N.).
Danach ist die angegriffene Entscheidung nicht zu beanstanden. Zwar beeinflusst die Auslegung und Anwendung des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO durch die angegriffene Entscheidung den Anwendungsbereich des Beschlussverfahrens gemäß § 522 Abs. 2 ZPO und damit auch die Anfechtbarkeit der Berufungsentscheidung mit Rechtsmitteln. Liegen die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO nach der Überzeugung des Berufungsgerichts vor, weist das Gericht die Berufung im Beschlussverfahren zurück mit der Folge, dass dieser Beschluss nach § 522 Abs. 3 ZPO unanfechtbar ist, also nicht, wie bei einer Entscheidung im Urteilsverfahren durch Revision (§ 542 ff. ZPO) oder durch Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO), angefochten werden kann. Der gesetzliche Richter für die Entscheidung über die Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde wird durch die Anwendung des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO in der angegriffenen Entscheidung aber nicht (mittelbar) entzogen. § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO räumt dem Berufungsgericht kein Handlungsermessen ein, mittelbar über die Wahl des Beschluss- oder Urteilsverfahrens die Anfechtbarkeit seiner Entscheidung zu steuern. Die angegriffene Entscheidung geht vielmehr – zumindest vertretbar – davon aus, dass das Berufungsgericht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss entscheiden muss (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 24. Aufl., § 523 Rn. 13; Piekenbrock, JZ 2002, S. 540 ≪541≫).
Die vom Berufungsgericht im angegriffenen Beschluss vorgenommene Auslegung der Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO, wonach die Zurückweisung der Berufung nicht auf Fälle beschränkt ist, in denen die fehlende Erfolgsaussicht besonders deutlich ins Auge springt, (i.S. einer „offensichtlichen” Unbegründetheit der Berufung), ist im Hinblick auf die Gewährleistung des gesetzlichen Richters verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Diese Auslegung der einfachgesetzlichen Vorschrift – die in erster Linie Aufgabe der zuständigen Fachgerichte ist – ist weder willkürlich unrichtig noch offensichtlich unhaltbar. Sie ist mit dem Gesetzeswortlaut vereinbar, weil der Gesetzgeber die Anforderungen der „Offensichtlichkeit” nicht ausdrücklich in den Gesetzestext aufgenommen hat. Dem entspricht auch die Entstehungsgeschichte der Norm. Nach der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg, wenn das Berufungsgericht aufgrund des Akteninhalts zu der Überzeugung gelangt, dass die Berufung unbegründet ist (vgl. im Einzelnen: Deutscher Bundestag, Drucks 14/4722, S. 97).
Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer nicht hinreichend begründet, dass die angegriffene Entscheidung auf einem Verstoß gegen die Gewährleistung des gesetzlichen Richters beruhe (vgl. BVerfGE 64, 1 (21); 96, 68 ≪86≫). Der Beschwerdeführer setzt sich nämlich nicht mit den Darlegungen in der angegriffenen Entscheidung auseinander, wonach im konkreten Fall die Berufung ohnehin offensichtlich unbegründet gewesen sei. Aufgrund dessen wäre das Berufungsgericht also auch nicht zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt, wenn es § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO entsprechend der Ansicht des Beschwerdeführers ausgelegt hätte.
Aus dem Sachvortrag des Beschwerdeführers ergibt sich auch nicht mit hinreichender Deutlichkeit eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ist für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes abzuleiten. Eine Gewährleistung von Rechtsmittelzügen folgt indes hieraus nicht (vgl. BVerfGE 54, 277 ≪291≫; 89, 381 ≪390≫). Es liegt in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, ob er in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten Rechtsmittelzüge einrichtet. Sieht der Gesetzgeber allerdings ein Rechtsmittel vor, darf der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht durch eine gerichtliche Auslegung und Anwendung von Prozessvorschriften in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 77, 275 ≪284≫; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 2000, NVwZ 2000, S. 1163). Diesem Maßstab wird die Auslegung des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO in der angegriffenen Entscheidung gerecht. Sie ist – wie dargelegt – insbesondere mit dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte vereinbar und erschwert den Zugang zu den von der Zivilprozessordnung unter bestimmten Voraussetzungen eingeräumten Rechtsmitteln der Revision bzw. der Nichtzulassungsbeschwerde nicht unzumutbar.
Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfGE 7, 99 ≪109≫).
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 841127 |
NJW 2003, 281 |
BauR 2002, 1739 |
FuR 2002, 468 |
IBR 2002, 582 |
ZInsO 2002, 761 |
KammerForum 2003, 160 |