Präsentismus: Gründe, Folgen und Lösungen

Präsentismus ist ein weitverbreitetes Phänomen in der modernen Arbeitswelt. Viele deutsche Arbeitnehmer gehen trotz Krankheit zur Arbeit. Dies kann nicht nur negative gesundheitliche Folgen für die Arbeitnehmer haben, sondern auch hohe Kosten für die Arbeitgeber verursachen.

Präsentismus bedeutet, dass ein Mitarbeiter im Betrieb anwesend, aufgrund gesundheitlicher Probleme aber nicht voll leistungsfähig ist.

Präsentismus: Definition

Im unternehmerischen Kontext hat sich für Präsentismus die folgende Definition eingebürgert, die die Produktivitätsverluste miteinbezieht: Präsentismus beschreibt die Produktivitätsverluste bei anwesenden Mitarbeitern durch tatsächliche Gesundheitsprobleme. Maßstab für die Leistungsfähigkeit eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin ist dabei nicht eine hypothetische 100 %-Leistung, sondern seine oder ihre persönliche Normalleistung.

Gemeint sind dabei Gesundheitsproblemen, derentwegen man üblicherweise nicht zu Hause bleibt, z.B. Saison-Allergien, leichte Kopfschmerzen, schlechter Schlaf. Betroffen sind aber auch Menschen, die krank sind und eigentlich zu Hause bleiben sollten, z. B. bei schwerer Erkältung, Grippe, Migräne. Diese Gruppe macht aber nur einen Teil des Präsentismus aus, der auch als Krankheits-Präsentismus bezeichnet wird.

Gründe für Präsentismus - Warum gehen viele krank zur Arbeit?

Gründe, warum kranke Menschen zur Arbeit kommen, können nach der INQA-Befragung "Was ist gute Arbeit?" sein:

  • Stärkere Ergebnisorientierung in den Unternehmen und dadurch höhere Selbstverantwortung der Mitarbeitenden;
  • dünner werdende Personaldecke ("Stellvertreter-Sterben");
  • man will die Kollegen und Kolleginnen nicht im Stich lassen;
  • es werden berufliche Nachteile im Hinblick auf eine Beförderung oder die Entlassung befürchtet, wenn man fehlt.

Darüber hinaus kommt eine Studie von Dietz, Zacher, Scheel, Otto und Rigotti (2020) zum Schluss, dass sich Beschäftigte stark am Gesundheitsverhalten ihrer Führungskräfte orientieren. Wenn diese sich trotz Krankheit keine Auszeit gönnen, folgen Mitarbeitende oft diesem Beispiel.

Kosten von Präsentismus

In den meisten Untersuchungen wird Präsentismus als ein Phänomen behandelt, das mit negativen Konsequenzen einhergeht. Sei es für die Beschäftigten die Präsentismus zeigen, für deren Arbeitgeber und auch für die Kollegen.

Insbesondere die kostenbezogene Diskussion von Präsentismus hat dabei viel Interesse erfahren, weil die durch Präsentismus entstehenden Kosten mindestens so hoch wie die Kosten durch krankheitsbedingte Fehlzeiten geschätzt werden. Die Auswirkungen von Präsentismus auf die Gesundheit zeigen sich im Kern darin, dass Präsentismus mit hoher Wahrscheinlichkeit zu späteren Beschwerden und Krankschreibungen führt und darüber hinaus die Arbeitsfähigkeit einschränkt.

Daneben werden aber noch weitere potenzielle Auswirkungen von Präsentismus diskutiert und diese betreffen die Unternehmen selbst. Bei anwesenden Beschäftigten, die beispielsweise an einer Erkältung oder Grippe leiden, besteht das Risiko einer Ansteckung, wodurch sich wiederum die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die angesteckten Mitarbeitenden krankheitsbedingt ausfallen.

Darüber hinaus können gesundheitliche Beeinträchtigungen auch negative Auswirkungen auf die Arbeitssicherheit haben, etwa dann, wenn sich aufgrund von Konzentrationsmängeln das Risiko von Arbeitsunfällen erhöht.

Präsentismus kann man messen

Um Präsentismus-Management möglichst effektiv und effizient gestalten zu können, sollte der erste Schritt eine Ist-Analyse der Gesundheitsprobleme sein, die die Leistungsfähigkeit in einem Unternehmen mindern und die Mitarbeitenden am meisten belasten.

Erfassungsinstrument der Wahl ist die Befragung, online oder per Fragebogen. Sie ist einfach, kostengünstig und mit großen Beteiligungszahlen durchführbar – besonders einfach online. Selbstverständlich müssen die Befragungen anonym erfolgen und alle Datenschutz-Richtlinien berücksichtigt werden.

Bei einer Befragung werden Absentismus, Präsentismus und die Produktivitätsverluste erfasst. Es empfiehlt sich, den Beobachtungszeitraum nicht zu lang zu wählen. Je länger der Zeitraum, desto mehr verfälschen Erinnerungsfehler und -lücken das Ergebnis. Und das beginnt schon bei relativ kurzen Zeiträumen.

Sind Befragungsdaten zuverlässig? Dieser Zweifel ist berechtigt. Die Antwort lautet: erstaunlich zuverlässig! Das zeigen Kontroll-Untersuchungen mit objektiven Produktivitätsdaten.

Die Ist-Analyse ist in mehrfacher Hinsicht wertvoll:

  •    Sie zeigt das Ausmaß an Präsentismus und Absentismus in diesem Unternehmen. Erst dann kann entschieden werden, ob Handlungsbedarf besteht und wie groß dieser ist.
  •    Sie liefert Informationen um zielgenaue Interventionen zu planen.
  •    Die Ergebnisse der Analyse stellen auch die Vergleichswerte für die Evaluation dar, mit der Veränderungen durch die Intervention aufzeigt werden können.
  •    Die Ist-Analyse ist erforderlich, um den Return on Invest (ROI) zu berechnen, das monetäre Ergebnis für das Unternehmen.

Präsentismus-Absentismus-Management lohnt sich

Auch in der Gesundheitsförderung ist die ökonomische Betrachtungsweise angekommen. Kennzahlen wie der ROI werden immer häufiger berechnet. Sie geben Unternehmen Gelegenheit, diese als Entscheidungskriterien für ihre Interventionen heranzuziehen. Beim Präsentismus-Absentismus-Management werden – unter sehr unterschiedlichen Bedingungen – ROIs zwischen 1:1 und 1:21 berichtet, d. h., für einen investierten EUR erhält das Unternehmen im letzten Fall 21 EUR zurück. Ein Return on Invest von 1:4 scheint auf jeden Fall realistisch zu sein.

Studien zum Thema Präsentismus

Die wissenschaftliche Erforschung des Präsentismus ist noch relativ jung, gewinnt aber aufgrund seiner Bedeutung für die Gesundheit der Beschäftigten und die Produktivität der Unternehmen zunehmend an Aufmerksamkeit.  In der Studie „How’s work? Was Beschäftigte in Deutschland bewegt und belastet“ der Techniker Krankenkasse (TK) und des Instituts für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) wurden zwischen 2018 und 2021 mehr als 11.000 Beschäftigte aus 43 Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen befragt.

Die Studie zeigt, dass Präsentismus häufig durch ein starkes Pflichtbewusstsein oder Schuldgefühle gegenüber dem Arbeitgeber motiviert ist. Interessanterweise arbeiten Beschäftigte im Homeoffice häufiger trotz Krankheit als ihre Kollegen im Büro - ein spezifisches Phänomen des "Workahomeism", das während der Corona-Pandemie an Bedeutung gewonnen hat. 

Folgen von Präsentismus

Auf individueller Ebene kann Präsentismus zu einer Verschlechterung der Gesundheit der Arbeitnehmer führen, da die notwendige Erholung ausbleibt. Laut Kinman (2019) erhöht Präsentismus das Risiko für Herzerkrankungen, Depressionen und verlängerte Fehlzeiten. Das Immunsystem wird geschwächt, was zu chronischer Erschöpfung und Burnout führen kann.

Besonders betroffen sind jüngere Beschäftigte und Führungskräfte, die häufig unter sozialem Druck stehen und strukturelle Unterstützung benötigen, um im Krankheitsfall zu Hause zu bleiben. Hinzu kommen die betrieblichen Folgen, die sich vor allem in Produktivitätsverlusten äußern. Ebenso führt Präsentismus zu einem erhöhten Krankheitsrisiko für die Mitarbeitenden. Fehlende Stellvertretungsregelungen, insbesondere in kleineren Unternehmen, tragen zu diesem Problem bei.

Empfehlung & Ausblick

Die Studie der TK und IFBG empfiehlt klare Richtlinien und eine offene Kommunikation im Umgang mit Krankheit. Mehr als die Hälfte der Befragten wünscht sich klare Regelungen für Krankheitsfälle im Homeoffice. Unternehmen sollten Präsentismus in Mitarbeiterbefragungen thematisieren, um geeignete Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit und Produktivität zu entwickeln.