Postalische Erreichbarkeit des Rechnungsausstellers
Die rechtliche Problematik: Ordnungsgemäße Rechnung
Erhält ein Unternehmer für sein Unternehmen eine Lieferung oder eine sonstige Leistung, für die der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer schuldet, benötigt der Leistungsempfänger für seinen Vorsteuerabzug eine ordnungsgemäße Rechnung nach § 14 und § 14a UStG (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG). In dieser Rechnung muss der vollständige Name und die vollständige Anschrift sowohl des leistenden Unternehmers als auch die des Leistungsempfänger enthalten sein.
Wichtig: Eine ordnungsgemäße Rechnung ist aber nur in den in § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG genannten Fällen für den Vorsteuerabzug notwendig. Insbesondere in den Fällen des innergemeinschaftlichen Erwerbs (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG) oder bei Fällen der Steuerschuld des Leistungsempfängers (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG, sog. Reverse-Charge-Verfahren) setzt der Vorsteuerabzug keine Rechnung – und damit auch keine ordnungsgemäße Rechnung – voraus.
Entgegen früherer Rechtsauffassung hatte der EuGH (Urteil vom 15.11.2017 - C-374/16, C- 375/16) schon 2017 festgestellt, dass auch eine Anschrift als ordnungsgemäß i. S. d. Regelung anzusehen ist, unter der eine postalische Erreichbarkeit gewährleistet ist.
Wichtig: Damit war eindeutig gerichtlich klargestellt, dass eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung nicht voraussetzt, dass die wirtschaftliche Tätigkeit des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt wird, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist. Vielmehr reicht jede Art von Anschrift, einschließlich einer Briefkastenanschrift, aus, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift postalisch erreichbar ist.
Die Finanzverwaltung (BMF, Schreiben v. 7.12.2018, III C 2 - S 7280 - a/07/10005 :003) hatte die Grundsätze aus der Rechtsprechung 2018 zeitnah veröffentlicht und den UStAE entsprechend angepasst. Zeitgleich mit der Veröffentlichung des BMF-Schreibens hatte der BFH (Urteil vom 05.12.2018 - XI R 22/14) dann aber seine Rechtsprechung noch dahingehend präzisiert, dass für die Prüfung des Rechnungsmerkmals der vollständigen Anschrift der Zeitpunkt der Rechnungsausstellung maßgeblich ist. Die Feststellungslast für die postalische Erreichbarkeit trifft dabei den Unternehmer, der den Vorsteuerabzug vornehmen will.
In einer weiteren Entscheidung – in der es um eine Umsatzsteuerbetrugskette ging – hatte der BFH (Urteil vom 14.02.2019 - V R 47/16) festgestellt, dass die für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug nach ständiger Rechtsprechung erforderliche Identität von Rechnungsaussteller und leistendem Unternehmer der Rechtsprechung des EuGH entspricht, der zufolge die Angabe der Anschrift, des Namens und der USt-IdNr. des Rechnungsausstellers es ermöglichen soll, eine Verbindung zwischen einer bestimmten wirtschaftlichen Transaktion und dem Rechnungsaussteller herzustellen.
BMF-Schreiben ergänzt UStAE
Das BMF-Schreiben ergänzt Abschn. 14.5 Abs. 2 und Abschn. 15.2a UStAE, um die sich aus den beiden Urteilen ergebenden Rechtskonsequenzen. Damit ist klargestellt, dass im Zeitpunkt der Ausstellung der Rechnung sowohl der leistende Unternehmer als auch der Leistungsempfänger unter den in der Rechnung angegebenen Anschriften postalisch erreichbar sein müssen. Begehrt ein Unternehmer einen Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG, trägt er die Feststellungslast, dass der leistende Unternehmer zum Zeitpunkt der Ausstellung der Rechnung unter der angegebenen Anschrift auch tatsächlich postalisch erreichbar ist.
Darüber hinaus wird in den UStAE aufgenommen, dass der Rechnungsaussteller (oder entsprechend auch Gutschriftsempfänger) mit dem leistenden Unternehmer grundsätzlich identisch sein muss, um eine Verbindung zwischen einer bestimmten wirtschaftlichen Transaktion und dem Rechnungsaussteller (oder auch Gutschriftsempfänger) herzustellen.
Die Grundsätze sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Gleichzeitig hebt die Finanzverwaltung das BMF-Schreiben aus dem Dezember 2018 auf.
Konsequenzen für die Praxis
Die wichtigste Entscheidung aus der Rechtsprechung von EuGH und BFH hatte die Finanzverwaltung schon im Dezember 2018 umgesetzt: Es ist für eine ordnungsgemäße Rechnung nicht notwendig, dass eine Anschrift angegeben ist, unter der der leistende Unternehmer und der Leistungsempfänger ihre wirtschaftlichen Aktivitäten entfalten. Es ist eine Anschrift ausreichend, unter der postalische Erreichbarkeit sichergestellt ist – damit sind auch sog. "Briefkastenanschriften" zulässige Angaben in einer Rechnung. Die Konkretisierung, dass dazu auf den Zeitpunkt der Rechnung abzustellen ist, ist nicht überraschend, jede andere Interpretation hätte zu erheblichen rechtlichen Abgrenzungsschwierigkeiten geführt. Auch ist nicht überraschend, dass der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer dafür nachweispflichtig ist.
Wichtig: Dass die Feststellungslast für die postalische Erreichbarkeit denjenigen trifft, der den Vorsteuerabzug geltend machen möchte, ist naheliegend. In der Praxis wird dies allerdings ein erhebliches Problem darstellen, wenn in Betriebsprüfungsverfahren für Vorgänge, die Jahre zurückliegen, der Nachweis angetreten werden muss, dass der leistende Unternehmer zu dem damaligen Zeitpunkt dort postalisch erreichbar war. Regelmäßig wird dies kaum nachweisbar sein, wenn der leistende Unternehmer nicht identifizierbar ist bzw. sich der Besteuerung entzogen haben sollte. Deshalb sollten – wie bisher auch schon – die Rechnungsangaben schon bei Rechnungseingang einer sorgfältigen Prüfung unterzogen.
Die jetzt auch in den UStAE aufgenommene Feststellung, dass Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer identisch sein müssen, ist ebenfalls keine neue Feststellung. Dies ergibt sich aus den allgemeinen Grundsätzen und dürfte in der Praxis hauptsächlich – wie auch in dem vom BFH entschiedenen Fall – in den Fällen von Umsatzsteuerbetrug eine Rolle spielen.
Tipp: Nicht von dieser Aussage tangiert ist die schon in § 14 Abs. 2 Satz 3 UStG geregelte Möglichkeit, dass eine Rechnung im Namen und für Rechnung des Unternehmers von einem Dritten ausgestellt werden kann. In diesem Fall muss aber in der Rechnung – die von dem Dritten ausgegeben worden ist – der leistende Unternehmer als die die Rechnung begebende Person benannt werden.
Etwas überraschend ist, dass die Finanzverwaltung mit diesem Schreiben ihr – umfangreicheres – Schreiben aus dem Dezember 2018 aufhebt. In diesem Schreiben waren bezogen auf die Rechtsprechung von EuGH und BFH zur Frage der postalischen Erreichbarkeit weitergehende Angaben gemacht worden, die damals auch in den UStAE aufgenommen worden sind (z. B. zur c/o-Adresse). Diese Aussagen dürften weiterhin ihre Gültigkeit behalten.
BMF, Schreiben v. 13.7.2020, III C 2 - S 7280-a/19/10001 :001
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