Bitte um Bearbeitung einer Steuererklärung als Antrag

Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beträgt für die Einkommensteuer 4 Jahre, wenn diese nicht hinterzogen oder leichtfertig verkürzt worden ist.

Beginn der Festsetzungsfrist

Grundsätzlich beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist. Abweichend davon beginnt die Festsetzungsfrist in Fällen, in denen der Steuerpflichtige zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO).

Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist

Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens ein Antrag auf Steuerfestsetzung oder auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung oder ihrer Berichtigung nach § 129 AO gestellt, so läuft die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden worden ist (§ 171 Abs. 3 AO).

Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung kein Antrag

Nach der Rechtsprechung des BFH kann die Abgabe einer Steuererklärung aber nicht als Antrag i. S. d. § 171 Abs. 3 AO gewertet werden (vgl. z. B. BFH, Urteil v. 18.6.1991, VIII R 54/89). Danach ist eine Steuererklärung kein Ausdruck des Willens, besteuert zu werden; vielmehr kommt der Erklärende mit ihr nur seiner gesetzlich vorgegebenen Mitwirkungspflicht nach. Bei einer Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG ist § 171 Abs. 3 AO dagegen anwendbar.

Fall beim FG Berlin-Brandenburg

Im Rahmen eines Klageverfahrens vor dem FG Berlin-Brandenburg war für vier Jahre die Festsetzungsverjährung eingetreten, obwohl die Kläger ihre Steuererklärungen immer weit vor Ablauf der Festsetzungsfrist abgegeben hatten. Die Kläger erinnerten mehrfach an die vorliegenden Steuererklärungen und baten in ihren Schreiben um Festsetzung der Einkommensteuer.

Im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahren stellte sich das Finanzamt auf den Standpunkt, dass die Festsetzungsfrist abgelaufen sei und auch keine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO vorliege. Zwar hätten die Kläger mit jeweils vor Ablauf der Festsetzungsverjährung übersandten Schreiben wiederholt um "Festsetzung der Einkommensteuer" gebeten und hätten erfragt, ob und was sie selbst zur Beschleunigung der Abarbeitung rückständiger Steuererklärungen beitragen könnten.

Insoweit lägen jedoch keine eigenständigen Anträge i. S. d. § 171 Abs. 3 AO vor, denn mit oder nach Abgabe der Steuererklärung übersandte Anschreiben des Steuerpflichtigen mit dem Antrag auf Steuerfestsetzung entsprechend der Erklärung, Nachfragen zur Bearbeitung und Bitte um Beschleunigung des Verfahrens und schriftliche Bitten um Durchführung der Veranlagung nach Abgabe der Steuererklärung hätten rein deklaratorischen Charakter und entfalteten keinerlei selbständige Wirkung neben der Steuererklärung.

FG Berlin-Brandenburg legt Schreiben als Antrag aus  

Das FG Brandenburg (Urteil v. 29.6.2022, 16 K 16128/21) hat sich der Auffassung der Kläger angeschlossen. § 171 Abs. 3 AO spreche von einem "Antrag" und enthält als einzige Einschränkung diejenige, dass der Antrag außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens gestellt sein muss. Die Vorschrift erfasse demnach alle - ausdrücklich oder stillschweigend - vorgetragenen Begehren oder Bitten an die Finanzbehörde auf ein entsprechendes Verwaltungshandeln, und zwar auch dann, wenn der Antrag auf Maßnahmen abzielt, welche die Behörde - wie eine Steuerfestsetzung - von Amts wegen vornehmen muss.

Die Würdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls ergäbe, dass die Kläger mit jeweils vor Ablauf der Festsetzungsfrist eingegangenen Schreiben für die betroffenen Jahre jeweils einen Antrag auf Steuerfestsetzung mit den Rechtswirkungen des § 171 Abs. 3 AO gestellt haben, da darin ausdrücklich oder konkludent um die Vornahme von Steuerfestsetzungen für die jeweiligen Kalenderjahre gebeten wurde. Das FG sah im Übrigen auch die Vorschrift des § 171 Abs. 3a AO als erfüllt an (Untätigkeitseinsprüche).

Revisionsverfahren aufgrund abweichender Entscheidungen

Das FG hat die Revision zugelassen, da bisher keine höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage vorliegt, ob in der nach Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung geäußerten Bitte um Bearbeitung, ein eigenständiger Antrag nach § 171 Abs. 3 AO zu sehen ist, und weil im Hinblick auf die einen solchen eigenständigen Antrag ablehnenden Entscheidungen des FG München (Urteil v. 20.10.2015, 12 K 1733/11) und des FG Berlin-Brandenburg (Urteil v. 24.7.2008, 6 K 10383/05 B) vorliegen. Das Aktenzeichen des BFH lautet I R 23/22.


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