Digitalisierung und Wert der Steuerkanzlei
Zum Stichtag 1.1.2019 lag die Anzahl der Steuerberaterpraxen in Deutschland bei ca. 55.000. Hierbei handelt es sich um 38.202 Einzelpraxen, 3.962 Praxen von Gesellschaften bürgerlichen Rechts und 2.856 Praxen von Partnerschaftsgesellschaften gemäß § 3 Nr. 2 Steuerberatungsgesetz (StBerG). Die Anzahl der Steuerberatungsgesellschaften erreichte erstmalig mit 10.185 Praxen einen 5-stelligen Bereich, so die Berufsstatistik der Bundessteuerberaterkammer. Abgeleitet aus diesen Zahlen stellen wir folgendes Szenario auf: Bis zum Jahr 2025 verschwinden 10 % der kleineren und mittleren Kanzleien bis zu einem Umsatz von 1 Mio. EUR vom Markt. Als Branchenspezialisten, Benchmarker, Strategieberater und Vermittler mit 40-jähriger Erfahrung können wir diesen Trend bestätigen. Speziell für zukunftsorientierte und digitale Kanzleien, egal welcher Größenordnung, ist die Entwicklung für die nächsten Jahre sehr positiv. So wie in den letzten Jahren werden sie weiterhin Umsatz und Gewinn steigern. Zuwachsraten von 10 % und mehr sind keine Seltenheit.
Gehen wir davon aus, dass bis 2025 bis zu 10 % der 55.000 Kanzleien, d.h. 5.500 Kanzleien aus Altersgründen, Mangel an qualifizierten Mitarbeitern und zu hohen Investitionen in Digitalisierung ihre Arbeit einstellen oder die Kanzlei verkaufen. Nehmen wir weiter an, dass eine Kanzlei einen Durchschnittsumsatz von 500.000 EUR bei 8 Mitarbeitern (4 Vollzeit und 4 Teilzeit) macht. In Summe sprechen wir von einem kumulierten Umsatz in Höhe von ca. 2,75 Mrd. EUR, der in den nächsten Jahren durch Abgänge von Mandanten, Verkäufe oder Kanzlei-Aufgaben neu verteilt wird. Pro Jahr sind es 400 bis 500 Mio. EUR Umsatz, die am Markt neu verteilt werden. Parallel dazu werden ca. 44.000 Mitarbeiter sich neu im Markt orientieren.
Im Klartext heißt dies: Für jede Kanzlei ist es Pflicht, die Digitalisierung voranzutreiben. So wie 1966 die elektronische Verarbeitung der Daten die Buchungsjournale mit Einführung der DATEV abgelöst hat, so wird die Digitalisierung jede Art analoger Datenverarbeitung ablösen. Die Entwicklung der Branche in den nächsten Jahren sieht, aus den verschiedenen Perspektiven betrachtet, folgendermaßen aus:
Blickwinkel Kanzlei
Die Kanzleien entwickeln sich, werden größer und wesentlich schneller. Sie befinden sich im Dauermodus der Veränderung. Durch das Wachstum verändern sich Strukturen; viele werden nachgezogen und neue müssen geschaffen werden. Die Mitarbeiter sind in ständiger Bewegung. Fusionen finden statt. Partner und Standorte kommen hinzu. Aktuell kann das Wachstum nicht verhindert werden. Seit längerem findet ein Mandatsumverteilungsprozess statt. Größere Mandate von kleineren Kanzleien wechseln den Berater, weil sie sich von Einzelkämpfern unzureichend betreut fühlen. Sie können den geforderten Beratungsumfang nicht mehr leisten.
Es kommt hinzu, dass sich die Mandanten in der Vergangenheit oft rascher entwickelt haben als die Steuerkanzleien selbst. Dies führt zu einem Niveau-Unterschied, der beratungstechnisch nicht ausgeglichen werden kann. Der Wechsel zu einer größeren Einheit ist die Folge. Große Kanzleien werden immer größer, viele kleine stagnieren, treten auf der Stelle oder geben auf.
Blickwinkel Mandant
Aus dem Blickwinkel des Steuerrechts besteht kein direkter Zwang, dass eine Kanzlei wachsen muss. Aus dem Blickwinkel der Anforderungen des Mandanten, der Verzahnung der Bereiche einschließlich der Internationalisierung besteht jedoch die unabdingbare Notwendigkeit, dass sich Kanzleien mit Ihren Mandanten entwickeln. Viele Kanzleien, die nicht wachsen konnten oder wollten, haben jetzt das Nachsehen und müssen um die Nachfolge bzw. das Überleben kämpfen.
Steuerberater und Mandant werden in Zukunft gerade wegen der Digitalisierung näher zusammenrücken, mehr miteinander kommunizieren und sich austauschen. Einmal pro Jahr eine ein- bis zweistündige Bilanzbesprechung reicht nicht mehr aus, um intensive Mandatsbeziehungen aufzubauen und zu pflegen. In Zukunft wird man sich regelmäßig monatlich oder vierteljährlich treffen. Der Steuerberater wird immer mehr zum Unternehmensberater. Er wird dem Mandanten unternehmerische Fragen stellen. Der Mandant fordert neben der Beantwortung von steuerlichen Fragen unternehmerisches Mitdenken, Entscheidungsfreude und digitalen Überblick. Er braucht Ansprechpartner, mit denen er sich kompetent austauschen kann. Der Steuerberater bleibt nach wie vor einer der wichtigsten Sparringspartner des Unternehmers.
Blickwinkel Nachfolge und Kanzleiwert
Immer weniger Kanzleien werden bereit sein, Geld in die Hand zu nehmen und Umsatz zu kaufen. Im Umkehrschluss bedeutet dies für Inhaber, die zwischen 50 und 60 Jahre alt sind, sich konkret Gedanken um die Nachfolge zu machen. Bei den Kanzleiwerten trennt sich langsam die Spreu vom Weizen. Sehr gut geführte Kanzleien, ertragsstark, fortschrittlich und digital, bekommen je nach Region und Lage zwischen 100 % und 130 %. Schwache Kanzleien finden hingegen sehr schwer einen geeigneten Nachfolger. Deren Wert geht gegen null. Manche Kanzleien sind bereits unverkäuflich. Treiben Sie deshalb die Digitalisierung konsequent voran. Es ist noch nicht zu spät.
Der Berufstand wird immer älter. Das Durchschnittsalter der Steuerberaterinnen lag zum 1.1.2018 bei 49 Jahren und das der Steuerberater bei 54,5 Jahren. Insgesamt liegt der Altersdurchschnitt aller Berufsträger bei 52,5 Jahren. Die Anzahl junger Berufsträger geht zurück. Die Bereitschaft, sich selbständig zu machen, nimmt ab. Wenn jemand angestellt bei einer 40-Stunden-Woche 80.000 bis 100.000 Euro pro Jahr verdient, wenig Verantwortung und eine geringe Haftung hat, dann kann man es ihm nicht verdenken, wenn er sich nicht selbständig machen will. Eine bessere Work-Life-Balance schaffen nur wenige Unternehmer.
Blickwinkel Mitarbeiter
Kanzleien haben aktuell kein Mandats-, sondern ein Mitarbeiterproblem. Der Arbeitsmarkt ist bundesweit knapp. Wenn wir uns das vorherige Zahlenbeispiel noch einmal vor Augen führen, dann werden rechnerisch ca. 44.000 Mitarbeiter in den nächsten Jahren frei. Schön wäre es, wenn alle Mitarbeiter jung und ausreichend qualifiziert wären und dem Arbeitsmarkt sofort zur Verfügung stünden. Dem ist aber nicht so.
Ein Teil dieser Mitarbeiter wird sich aus Altersgründen sofort in den Ruhestand verabschieden. Ein bestimmter Prozentsatz wird für digitales Arbeiten in Steuerkanzleien nicht zu gebrauchen sein. Sie werden abprallen, da der Unterschied zwischen analoger und digitaler Arbeitsweise zu groß ist. Der Rest wird durch intensive und mehrjährige Weiterbildung nach und nach in die Kanzleien integriert. Ein zäher und aufwändiger Prozess. Es gibt leider keine Garantie, ob es auch alle schaffen werden. Wir gehen in unserem Szenario davon aus, dass von den 44.000 Mitarbeitern maximal die Hälfte in der Branche verbleibt. Somit wäre kurz- und mittelfristig mehr Umsatz zu verteilen, als der Markt mitarbeitermäßig aufnehmen kann. Ein weiterer Grund die Digitalisierung zügig voranzutreiben.
Blickwinkel Digitalisierung
Bereitschaft zum stetigen Wandel und ständiger Anpassung vorausgesetzt, ist die Branche der Steuerberatung sehr zukunftsträchtig. Auch wenn Prognosen zum Ausdruck bringen, dass in absehbarer Zukunft Tätigkeitsgebiete der Steuerberatung in großem Umfang durch Digitalisierung ersetzt werden, so wird es weiterhin genügend qualifizierte Mitarbeiter geben müssen, die die Ergebnisse analysieren und Handlungsempfehlungen sowie Gestaltungsmöglichkeiten daraus ableiten.
Transparenz und Digitalisierung bergen Steuerrisiken. Jeder Vorgang muss von Anfang an zu Ende gedacht sein. Jeder Wert in der Erfassung muss richtig sein. Die Aufgabe des Beraters wird sein, Risiken zu vermeiden und nicht mehr, wie bisher, Fehler zu reparieren. Risiko-Prävention bei Digitalisierung ist angesagt. Dazu gehören eine völlig andere innere Einstellung, Denkweise und Qualifikation.
Mit dem berühmten Knopfdruck sind die Daten festgeschrieben. Mit Hilfe der Digitalisierung wird die Buchhaltung durchsichtiger. Prüfung und Fahndung bekommen neue Möglichkeiten in einer noch nie dagewesenen Dimension. Viele Steuerkanzleien arbeiten im Zeitalter der Transparenz immer noch analog. Es gibt nach wie vor die Möglichkeiten der Korrektur. Aber jede Korrektur ist verdächtig und wirft nachgelagert Fragen auf. Bei den Ausgangsrechnungen z.B. gibt es nicht mehr die Möglichkeit der Stornobuchung, sondern nur die Möglichkeit der Erstellung einer Gutschrift. Deswegen muss jeder Vorgang zu Ende gedacht werden und von Anfang an richtig zugeordnet und verbucht werden.
Sandra Weigert, MBA, und Petra Kunde, Dipl.-Finanzwirtin (FH) und Steuerberaterin, sind auf die Beratung von Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungskanzleien spezialisiert. Mit Benchmarking führen sie ein seit 1998 bewährtes Workshop-System fort, das Josef Weigert speziell für diese Branche entwickelt und aufgebaut hat. Der Beitrag entstammt dem bei Schäffer-Poeschel erschienenen Buch "Benchmarking in Steuerkanzleien - Wie Sie durch Digitalisierung Ihre Kanzleizahlen systematisch verbessern“. |
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