Wohnsitzbeibehaltung bei Schulbesuch im Ausland und Corona-bedingtem Einreisestopp
Der BFH hat Grundsätze aufgestellt, welche Voraussetzungen in Bezug auf die Beibehaltung des Wohnsitzes erfüllt sein müssen, damit den Eltern für ein Kind, welches im Ausland (z. B.) ein mehrjähriges Studium aufgenommen hat, weiterhin Kindergeld zusteht. Wie ist mit den Grundsätzen umzugehen, wenn ein Kind zwar zu seinem Wohnsitz zurückkehren könnte, Corona-bedingt aber - z. B nach den Ferien - nicht mehr ins Ausbildungsland einreisen durfte?
Wohnsitz nach § 8 AO
Nach § 8 AO hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Der Wohnsitzbegriff setzt zwar weder voraus, dass die Wohnung im Inland den Mittelpunkt der Lebensinteressen bildet noch einen Aufenthalt während einer Mindestzeit erforderlich ist aber eine Nutzung, die über bloße Besuche, kurzfristige Ferienaufenthalte und das Aufsuchen der Wohnung zu Verwaltungszwecken hinausgeht.
Mehrjähriger Auslandsaufenthalt bei Kindern
Bei Kindern, die sich für einen von vorneherein auf bis zu ein Jahr begrenzten Zeitraum zum Zwecke der Schul- oder Berufsausbildung im Ausland aufzuhalten, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie ihren Wohnsitz im Inland beibehalten. Bei einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt, reicht es für einen Inlandswohnsitz dagegen nicht aus, wenn die elterliche Wohnung dem Kind weiterhin zur Verfügung steht. Es muss vielmehr eine Beziehung vorhanden sein, die über die durch das Familienverhältnis begründete Beziehung hinausgeht und erkennen lässt, dass das Kind die elterliche Wohnung nach wie vor als seine eigene betrachtet.
BFH-Rechtsprechung
Der BFH (Urteil v. 25.9.2014, III R 10/14) hat in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, dass neben der voraussichtlichen Dauer der auswärtigen Unterbringung, der Art der Unterbringung am Ausbildungsort auf der einen und im Elternhaus auf der anderen Seite, dem Zweck des Auslandsaufenthalts, den persönlichen Beziehungen des Kindes am Wohnort der Eltern einerseits und am Ausbildungsort andererseits, der Dauer und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte erhebliche Bedeutung beizumessen ist.
Kinder, die sich zum Zwecke des Studiums für mehrere Jahre ins Ausland begeben, behalten ihren Wohnsitz bei den Eltern daher in der Regel nur dann bei, wenn sie die Wohnung (bei den Eltern) in ausbildungsfreien Zeiten tatsächlich nutzen.
Der BFH lässt es aber grundsätzlich genügen, wenn die ausbildungsfreien Zeiten zumindest überwiegend im Inland verbracht werden und es sich um Inlandsaufenthalte handelt die Rückschlüsse auf ein zwischenzeitliches Wohnen zulassen, wobei nur kurze, üblicherweise durch die Eltern-Kind-Beziehungen begründete Besuche (in der Regel 2-3 Wochen pro Jahr) nicht ausreichen. Überwiegend bedeutet nach einer Konkretisierung der Rechtsprechung (Urteil v. 23.6.2015, III R 38/14), wenn mehr als 50 % der ausbildungsfreien Zeit im Inland verbracht wird.
Hessisches FG: Schulbesuch in Australien, Einreisestopp aufgrund Corona
Im Rahmen eines Klageverfahrens vor dem Hessischen FGn besuchte ein Kind ab 2019 eine Schule in Australien. Das Kind wohnte bei der Tante in Melbourne. Die Eltern wohnten weiterhin in Deutschland. In der ausbildungsfreien Zeit nutzte das Kind sein Zimmer bei den Eltern zu mehr als 50%. Das Kindergeld für 2019 wurde gewährt. Ab 2020 wurde es aber mit folgender Begründung versagt:
Der Begriff des steuerlichen Wohnsitzes sei nach der Rechtsprechung des BFH rein objektiv nach den tatsächlichen Verhältnissen zu betrachten. Es seien die Gesamtumstände zu betrachten, wozu auch die Corona-Krise gehöre. Ausschlaggebend sei dabei, dass für das Kind eine Heimreiseabsicht nachgewiesen und glaubhaft gemacht werde, dass sich die geplante Heimreise nach Deutschland durch die Corona-Pandemie verzögerte oder die Heimreise dadurch ganz verhindert worden sei.
Diese Voraussetzungen seien jedoch nicht erfüllt. Die Einreise nach Deutschland sei weiterhin möglich gewesen. Das Kind habe sich aber bewusst dagegen entschieden, um die Ausbildung in Australien weiterführen zu können. Daher sei das Kind nicht tatsächlich an der Heimreise gehindert gewesen. Subjektive Umstände müssten außer Betracht bleiben. Zwar habe Australien einen Einreisestopp verhängt, darauf komme es aber nicht an.
Es sei dem Kind zuzumuten gewesen, im Rahmen eines Distanzunterrichtes via PC an dem Unterricht in Australien teilzunehmen. Sofern die Schule keinen Distanzunterricht angeboten hat, wäre es ihm zuzumuten gewesen, die Schulausbildung in Australien abzubrechen und sich um die Fortsetzung seiner Schulausbildung in Deutschland zu kümmern.
FG gewährt Kindergeld
Dies sieht das Hessische FG (Urteil v. 3.3.2022, 3 K 673/21) verständlicherweise anders. Das Kind habe weiterhin die Absicht gehabt mehr als die Hälfte der Ferienzeit im Inland bei seinen Eltern zu verbringen, hieran sei es aber aus tatsächlichen Gründen infolge der Corona Pandemie gehindert gewesen.
Im Falle eines bestehenden Ein- bzw. Ausreiseverbots infolge der Corona-Pandemie handele es sich um objektive Umstände, die nicht zur Disposition der Bürger standen. Damit sei diese Situation nicht vergleichbar mit der Konstellation, in der eine Heimreise z.B. infolge fehlender finanzieller Mittel unterbleibt Denn die finanzielle Situation kann subjektiv beeinflusst werden, z.B. durch eine Kreditaufnahme. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie hingegen nicht, so dass es sich um objektive Umstände handelt. Zwar hätte das Kind nach Deutschland einreisen können, eine Rückreise nach Australien wäre aber nicht mehr möglich gewesen. Entgegen der Auffassung der Familienkasse war das Kind somit aus tatsächlichen Gründen an der Heimreise gehindert.
Hierbei dürfe nicht alleine auf die Frage abgestellt werden, ob die Einreise nach Deutschland möglich war. Denn eine Heimreise während der Ferienzeit im Falle des Schulbesuches im Ausland hat üblicherweise auch eine Rückreise zur Folge. Alles andere wäre einem Schulabbruch gleichgekommen, was unzumutbar gewesen wäre. Die weiteren Begründungen bezüglich Distanzunterricht oder Fortführung in Deutschland seien darüber hinaus nicht nachvollziehbar.
Revisionsverfahren beim BFH anhängig
Gegen die Entscheidung des FG läuft ein Revisionsverfahren vor dem BFH (Az: III R 20/22). Dieses bleibt abzuwarten.
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