Nachweis einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer für die Gebäude-AfA
Nutzungsdauer i.S.v. § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG ist nach § 11c Abs. 1 EStDV der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann. Ist das Berechnungsmodell der Anlage 4 (Modell zur Ableitung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer für Wohngebäude unter Berücksichtigung von Modernisierungen) der Sachwertrichtlinie vom 05.09.2012, veröffentlicht im Bundesanzeiger - BAnz AT 18.10.2012 B1 - , ein geeigneter Nachweis zur Bestimmung einer kürzeren Nutzungsdauer für Gebäude i.S.v. § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG?
Nutzungsdauer eines Gebäudes
Unter Nutzungsdauer ist nicht etwa die Gesamtnutzungsdauer des betreffenden Gebäudes zu verstehen, sondern nur der Zeitraum der Nutzung durch den jeweiligen Eigentümer, und zwar grundsätzlich vom Zeitpunkt der Anschaffung oder Herstellung an gerechnet. Das wird vielfach zu AfA über einen längeren Zeitraum als 50 Jahre führen, da im Allgemeinen angenommen werden kann, dass ein Gebäude im Laufe von 50 Jahren mindestens einmal den Eigentümer wechselt. Wird das Gebäude innerhalb dieses Zeitraums mehrfach veräußert, kann seine Gesamtnutzungsdauer über 100 Jahre ansteigen (BFH Urteil vom 28.09.1971 - VIII R 73/68; BFH Urteil vom 18.09.2003 - X R 54/01).
Bei jedem Eigentümerwechsel beginnt die Nutzungsdauer neu
Bei jedem Eigentümerwechsel, dem ein entgeltliches Rechtsgeschäft zugrunde liegt, beginnt die Nutzungsdauer neu zu laufen. Das Gesetz geht typisierend davon aus, dass die in den gesetzlichen Abschreibungssätzen unterstellte Nutzungsdauer von Gebäuden mit jedem Eigentümerwechsel im Rahmen eines Grundstückskaufs neu beginnt. Da die Nutzungsdauer auf den jeweiligen Eigentümer zu beziehen ist, kann sich – wie erwähnt – ein über der typisierten Nutzungsdauer liegender Zeitraum der Gesamtabsetzung ergeben. Die tatsächliche Nutzungsdauer eines Gebäudes kann also die in § 7 Abs. 4 EStG typisierend zugrunde gelegten Nutzungsdauern von 50 bzw. 40 Jahren weit übersteigen. Umso wichtiger ist in der Praxis die Frage, ob von einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer i.S.d. § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG ausgegangen werden kann.
Tatsächlich kürzere Nutzungsdauer eines Gebäudes
Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG können z.B. bei Gebäuden, die der Erzielung von Einkünften dienen und nach dem 31.12.1924 fertiggestellt worden sind, jährlich 2 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten als Werbungskosten abgezogen werden. Beträgt die tatsächliche Nutzungsdauer des Gebäudes weniger als 50 Jahre, können anstelle dieser Absetzungen die der tatsächlichen Nutzungsdauer entsprechenden AfA vorgenommen werden (§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG). Wird also ein z.B. 1929 fertiggestelltes Gebäude vom Steuerpflichtigen im Jahr 2019 erworben, beträgt der AfA-Satz für die Gebäude-Abschreibung prinzipiell 2 %, obwohl das Gebäude bereits 90 Jahre alt ist. Maßgebend ist auch in einem solchen Fall die vom Gesetzgeber angenommene Nutzungsdauer von 50 Jahren.
Nutzungsdauer von 50 Jahre bei neuen Gebäuden i.d.R. nicht unangemessen
Bei neuen Gebäuden ist die Annahme einer voraussichtlichen Nutzungsdauer von 50 Jahren in aller Regel nicht unangemessen. Sollte dies aufgrund der Bauart oder der in Aussicht genommenen Art der Nutzung im Einzelfall anders sein, wird dies in aller Regel von Anfang an erkennbar sein. Dann hat es der Steuerpflichtige in der Hand, von vornherein die Abschreibung nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zu wählen (BFH Urteil vom 29.05.2018 - IX R 33/16).
Bei älteren Gebäuden dürfte die typisierte Nutzungsdauer häufig unangemessen sein. Ein höherer AfA-Satz lässt sich in diesen Fällen aber nur erreichen, wenn eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer nachgewiesen oder glaubhaft gemacht wird. Auszugehen ist von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt. Sofern die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische Nutzungsdauer ist, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen (BFH Urteil vom 23.09.2008 - I R 47/07).
Praxis-Tipp: Revision anhängig
Das FG Düsseldorf hat aktuell entschieden, dass das Modell gemäß Anlage 4 (Modell zur Ableitung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer für Wohngebäude unter Berücksichtigung von Modernisierungen) der Sachwertrichtlinie ein geeignetes Verfahren zur Ermittlung der verbleibenden Nutzungsdauer darstellt (Urteil vom 12.07.2019 - 3 K 3307/16 F). Der Auffassung des Finanzamts, dass dieses im Urteilsfall vom Sachverständigen angewandte Verfahren im Rahmen der Gebäudesachwertermittlung nach §§ 21 ff. i.V.m. § 6 Abs. 6 ImmoWertV und damit für Zwecke der Verkehrswertermittlung Anwendung finde und daher im Rahmen des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG keine Anwendung finden könne, ist das Gericht nicht gefolgt. Hieraus lässt sich nach Meinung des FG kein Unterschied zwischen der (Rest-)Nutzungsdauer i.S.d. § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG und der Restnutzungsdauer i.S.d. § 6 Abs. 6 ImmoWertV konstruieren (a.A. FG Köln Urteil vom 30.06.2016 - 11 K 3657/14).
Die – vom FG zugelassene – Revision ist inzwischen eingelegt worden (Az. des BFH: IX R 25/19). Damit erhält der BFH Gelegenheit zur Klärung der Rechtsfrage, die zwischen dem FG Düsseldorf und FG Köln streitig ist. Sollte der BFH die Ansicht des FG Düsseldorf bestätigen, würde dies in zahlreichen Fällen den Nachweis einer tatsächlich kürzeren Restnutzungsdauer erleichtern und höhere Abschreibungssätze ermöglichen.
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