Ausbildung zum Notfallsanitäter nach Abschluss zum Rettungssanitäter
Der BFH hat seine Rechtsprechungsgrundsätze zur kindergeldrechtlichen Erstausbildung über die Jahre fortentwickelt und präzisiert. Die Fortentwicklung war auch Thema bei einer neuen Entscheidung des FG Münster. Der Fall zeigt aber auch die Unterschiede zwischen der kindergeldrechtlichen Auslegung des Ausbildungsbegriffs im Verhältnis zum Werbungskosten-/Sonderausgabenabzug.
Regelung des § 32 Abs. 4 EStG
So lange sich ein Kind sich in einer erstmaligen Berufsausbildung oder in einem Erststudium befindet, kann es kindergeldrechtlich bis zum 25. Lebensjahr berücksichtigt werden. Ein Kind kann bis zum 25. Lebensjahr auch noch berücksichtigt werden, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums kann ein Kind, welches für einen Beruf ausgebildet wird, nur noch weiter kindergeldrechtlich berücksichtigt werden, wenn es keiner schädlichen Erwerbstätigkeit (über 20 Stunden regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nachgeht.
Kindergeld: Keine Bindung an § 9 Abs. 6 EStG
Bei der Auslegung der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n. F. verwendeten Begriffe der erstmaligen beruflichen Ausbildung und des Erststudiums besteht keine Bindung an eine ggf. abweichende Auslegung dieser (engeren) Begriffe im Rahmen des § 9 Abs. 6 EStG (z. B. BFH, Urteil v. 16.6.2015, XI R 1/14).
Auch die Finanzverwaltung betont (BMF, Schreiben v. 8.2.2016, BStB 2016 I, S. 226 Rz. 12b-12d), dass es für die Frage, ob eine erstmalige Berufsausbildung oder ein Erststudium nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen sind, nicht darauf ankommt, ob die Berufsausbildung bzw. das Studium die besonderen Voraussetzungen für eine Erstausbildung im Sinne des § 9 Abs. 6 EStG erfüllen (hier liegt z. B. nur eine Ausbildung vor, wenn sie mindestens 12 Monate dauert, es ist aber darauf hinzuweisen, dass das FG Münster die hier dargestellten Grundsätze nicht entscheiden musste).
Grundsätze aus der Rechtsprechung zum Kindergeld
Liegen mehrere Ausbildungsabschnitte vor, können diese (kindergeldrechtlich) noch eine einheitliche Erstausbildung darstellen, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann.
Die einzelnen Ausbildungsabschnitte müssen sich als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinanderstehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden.
An einer einheitlichen Erstausbildung kann es aber fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten.
Fall des FG Münster
Im Klagefall des FG Münster absolvierte das Kind der Klägerin eine dreimonatige Ausbildung zum Rettungssanitäter. Nach Abschluss nahm er eine unbefristete Vollzeitbeschäftigung als Rettungssanitäter auf. Es bewarb sich aber noch während seiner Ausbildung bei mehreren Ausbildungsbetrieben im gesamten Bundesgebiet für eine Ausbildung zum Notfallsanitäter. Die Bemühungen blieben aber bislang erfolglos. Nach der Ausbildung zum Rettungssanitäter hob die Kindergeldkasse die Kindergeldfestsetzung auf.
Die Klägerin war der Meinung, dass es sich bei der Ausbildung zum Rettungssanitäter lediglich um eine Qualifizierung/Weiterbildung im Rahmen eines dreimonatigen Lehrgangs handele (siehe oben Absatz zu § 9 Abs. 6 EStG). Die Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück und führte an, dass die Ausbildung zum Rettungssanitäter als erstmalige Berufsausbildung i. S. d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG anzusehen sei (im Rahmen des § 9 Abs. 6 EStG hätte das Finanzamt eine Erstausbildung abgelehnt, sodass für die Ausbildung zum Notfallsanitäter der Werbungskostenabzug ausgeschlossen wäre). Nichts Anderes ergebe sich aus der angestrebten Ausbildung zum Notfallsanitäter. Zwar liege insofern ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten vor. Ein Kindergeldanspruch scheitere aber aufgrund einer Ermessensentscheidung daran, dass die Erwerbstätigkeit im Vordergrund stehe.
Die Klägerin beantragte sodann, eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c EStG, da das Kind als ausbildungsplatzsuchend gemeldet gewesen sei. Der Beklagte habe zudem nicht berücksichtigt, dass das Kind seiner Erwerbstätigkeit als Rettungssanitäter nur bis zum Beginn der angestrebten Ausbildung zum Notfallsanitäter nachgehen werde.
FG Münster: Einheitliche Ausbildung liegt vor
Das FG Münster (Urteil v. 17.10.2022, 7 K 591/22 Kg, rechtskräftig) kam zu dem Ergebnis, dass das Kind sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz als Notfallsanitäter bemüht hat, sodass es nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c EStG zu berücksichtigen sei. Dagegen spreche auch nicht die begonnene Vollzeiterwerbstätigkeit. Denn die Ausbildung zum Rettungssanitäter und die von dem Kind angestrebte Ausbildung zum Notfallsanitäter stelle eine einheitliche erstmalige Berufsausbildung dar.
Der sachliche Zusammenhang sei unstreitig gegeben. Ein enger zeitlicher Zusammenhang ergäbe sich daraus, dass sich das Kind bereits während der Ausbildung zum Rettungssanitäter und im unmittelbaren Anschluss an diese Ausbildung ernsthaft um die weitergehende Ausbildung zum Notfallsanitäter bemüht hat. Auch führt die Vollzeitbeschäftigung als Rettungssanitäter zu keiner Zäsur, da das FG davon überzeugt ist, dass das Kind die Erwerbstätigkeit aufgeben wird, sobald es eine Ausbildungsstelle zum Notfallsanitäter gefunden hat. Hierfür spreche u. a., dass neben der der in Vollzeit und im Schichtdienst aus-geübten Ausbildung zum Notfallsanitäter eine Erwerbstätigkeit als Rettungssanitäter nicht möglich sein wird. Damit diene die Erwerbstätigkeit lediglich der Überbrückung der Wartezeit bis zum nächsten Ausbildungsabschnitt und stehe damit nicht im Vordergrund.
Aktualisierung: Neues Urteil mit Revision vom Niedersächsischen FG
So wie das FG Münster hat auch das Niedersächsische FG entschieden (Urteil v. 25.5.2023, 10 K 41/22). Die Vollzeiterwerbstätigkeit in der Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten einer einheitlichen erstmaligen Ausbildung ist für den Kindergeldanspruch unschädlich, wenn die Berufstätigkeit lediglich der Überbrückung dient und nicht Voraussetzung für die Aufnahme des zweiten Ausbildungsabschnitts ist.
Die Ausbildungen zum Sanitätshelfer, zum Rettungssanitäter und die vom dortigen Kläger inzwischen begonnene Ausbildung zum Notfallsanitäter stellten, sofern sie für sich genommen überhaupt als eigenständige Berufsausbildung anzusehen sind (vgl. hierzu den Beitrag "Unterschiede von Erststudium und Zweitstudium bei Kindergeld und Werbungskosten", Frage ist Gegenstand der Revision beim BFH), jedenfalls eine einheitliche erstmalige Berufsausbildung dar.
- Ein enger sachlicher Zusammenhang ergebe sich daraus, dass sämtliche Ausbildungen im Bereich der notfallmedizinischen Versorgung und des Transports von Patienten angesiedelt sind.
- Ein enger zeitlicher Zusammenhang ergebe sich daraus, dass der Kläger die Ausbildungen zum Sanitätshelfer und zum Rettungssanitäter in engem zeitlichen Zusammenhang im Rahmen seines Bundesfreiwilligendienst absolviert hat und sich im unmittelbaren Anschluss daran ernsthaft um die weitergehende Ausbildung zum Notfallsanitäter bemüht hat.
Auch führe die Vollzeitbeschäftigung als Rettungssanitäter zu keiner Zäsur, da die Ausbildung zum Notfallsanitäter keine derartige berufspraktische Tätigkeit voraussetzt und der Kläger die Erwerbstätigkeit aufgegeben hat, nachdem er eine Ausbildungsstelle zum Notfallsanitäter gefunden hatte. Damit diene die Erwerbstätigkeit lediglich der Überbrückung der Wartezeit bis zum nächsten Ausbildungsabschnitt.
Darauf, dass die Erwerbstätigkeit während dieser Übergangsphase den Schwerpunkt darstelle, kommt es entgegen der Auffassung des Beklagten nicht an. Die Schwerpunktprüfung finde indes nur statt, wenn die Erwerbstätigkeit neben dem weitergehenden Ausbildungsabschnitt ausgeübt wird. Für die vorangehende Wartezeit i. S. d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c) EStG sei die Schwerpunktprüfung lediglich insoweit relevant, als ein Kindergeldanspruch nur dann besteht, wenn die angestrebte Ausbildungsmaßnahme zukünftig neben der Erwerbstätigkeit im Vordergrund stehen wird. Dies sei vorliegend der Fall.
Gegen die Entscheidung des Niedersächsischen FG läuft mittlerweile ein Revisionsverfahren (Az beim BFH III R 13/24). Die Entscheidung des BFH bleibt abzuwarten. Ggf. wird sich die Frage aber schon erledigen, wenn der BFH zum gleichen Ergebnis kommt wie das das FG Nürnberg (vgl. Beitrag "Unterschiede von Erststudium und Zweitstudium bei Kindergeld und Werbungskosten"), nämlich, dass § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG und § 9 Abs. 6 EStG einheitlich auszulegen sind und dementsprechend die Ausbildung zum Rettungsassistent keine eigenständige Berufsausbildung darstellt.
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