Verfahren bei zweifelhafter Annahme einer typisch stillen Gesellschaft
Bleibt das Mitunternehmerrisiko eines stillen Gesellschafters hinter der Rechtsstellung eines Kommanditisten zurück, liegt gleichwohl eine atypisch stille Gesellschaft vor, wenn die Möglichkeit des stillen Gesellschafters zur Entfaltung von Mitunternehmerinitiative besonders stark ausgeprägt ist.
Hintergrund: Beteiligung als stiller Gesellschafter
X beteiligte sich als stiller Gesellschafter an der A-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer A, der Vater des X, ist. X war zu 20 % am Gewinn und Verlust beteiligt. Die Geschäftsführung der stillen Gesellschaft oblag allein A. X war (neben einem familienfremden Dritten, B) leitender Angestellter der GmbH.
Das FA erfasste die Einnahmen des X aus der stillen Beteiligung mit dem tariflichen Steuersatz und nicht – wie von X erklärt – mit dem Abgeltungsteuersatz von 25 %.
Das FG gab der Klage mit der Begründung statt, es bestehe kein Näheverhältnis zwischen X und A i.S.v. § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG.
Entscheidung: Fehlende gesonderte Feststellung der Einkünfte
Nach § 32 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG gilt der Abgeltungsteuersatz u.a. nicht, wenn Gläubiger eine dem Anteilseigner nahestehende Person ist. Der BFH ging auf die vom FG in diesem Zusammenhang herausgestellte Problematik des Näheverhältnisses zwischen X und A nicht ein. Er hob das FG-Urteil aus verfahrensrechtlichen Gründen auf und auf und verwies die Sache an da FG zurück. Das FG hätte das Klageverfahren gegen die ESt-Bescheide aussetzen müssen, um den Abschluss der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte abzuwarten. Denn X war möglicherweise als atypisch stiller Gesellschafter im Rahmen einer Mitunternehmerschaft beteiligt mit der Folge, dass das FA seine Einnahmen im Rahmen einer gesonderten und einheitlichen Feststellung hätte erfassen müssen.
Unterlassene Verfahrensaussetzung als Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens
Ein Verfahren zur gesonderten und einheitlichen Feststellung muss bereits dann durchgeführt werden, wenn es zweifelhaft oder nur möglich ist, dass Einkünfte vorliegen, an denen mehrere Personen beteiligt sind (z.B. BFH v. 22.2.2017, I R 35/14, BStBl II 2018, 33). Das ergibt der Zweck des Feststellungsverfahrens nach § 179 AO, eine gleiche Sachbehandlung gegenüber allen potentiell betroffenen Personen sicherzustellen. Unterbleibt in diesem Fall ein Feststellungsverfahren, liegt ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens vor, der auch ohne Rüge von Amts wegen zu beachten ist. Ein Feststellungsverfahren ist auch dann durchzuführen, wenn das dafür zuständige FA zugleich für die Festsetzung der ESt aller möglicherweise an den Einkünften beteiligter Personen zuständig ist (vgl. BFH v. 22.2.2017, I R 35/14, BStBl II 2018, 33). Es kann nur unterbleiben, wenn offensichtlich ein Fall von geringer Bedeutung i.S. des § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO vorliegt (BFH v. 9.6.2015, X R 38/12, BFH/NV 2015, 1588).
Möglicherweise atypisches stilles Gesellschaftsverhältnis
Nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Einnahmen aus der Beteiligung als stiller Gesellschafter, es sei denn, dass der Gesellschafter als Mitunternehmer, d.h. atypisch still Beteiligter, anzusehen ist. Mitunternehmer ist derjenige Gesellschafter, der kumulativ Mitunternehmerinitiative entfalten kann und Mitunternehmerrisiko trägt (z.B. BFH v. 13.7.2017, IV R 41/14, BStBl II 2017, 1133). Beide Merkmale müssen vorliegen, können jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Ein geringeres mitunternehmerisches Risiko kann durch eine besonders starke Ausprägung des Initiativrechts ausgeglichen werden und umgekehrt.
Gering ausgeprägtes Unternehmerrisiko
Nach dem Gesellschaftsvertrag war X zu 20 % am Gewinn und Verlust der Gesellschaft beteiligt, ohne dass betragsmäßige Obergrenzen vereinbart waren. Er war jedoch weder an den stillen Reserven noch am Geschäftswert beteiligt. Sein mitunternehmerisches Risiko war damit nur gering ausgeprägt. Denn es blieb hinter der Rechtsstellung eines Kommanditisten zurück.
Ausgleich des geringen Mitunternehmerrisikos durch gewichtige Mintunternehmerinitiative
Das Defizit eines nur gering ausgeprägten Unternehmerrisikos könnte durch eine besonders ausgeprägte Mintunternehmerinitiative ausgeglichen sein. Zwar lag nach dem Gesellschaftsvertrag die Geschäftsführung der stillen Gesellschaft allein bei A, während X lediglich gewisse Kontrollrechte zustanden. Jedoch war X auch leitender Angestellter und Prokurist der GmbH. Er könnte damit auch gewichtige Geschäftsführungsaufgaben mit entsprechender Unternehmerinitiative wahrgenommen haben (BFH v. 7.11.2006, VIII R 5/04, BFH/NV 2007, 906).
Zurückverweisung an das FG
Im Rahmen des (noch durchzuführenden) Feststellungsverfahrens ist die Frage des Bestehens einer Mitunternehmerschaft und der Mitunternehmerstellung des X zu klären. Dabei ist ggf. auch zu prüfen, ob der weitere stille Beteiligte B ebenfalls als Mitunternehmer anzusehen ist. Über diese Frage wäre nicht in einem gesonderten, sondern in demselben Feststellungsverfahren zu entscheiden (BFH v. 15.10.1998, IV R 18/98, BStBl II 1999, 286).
Hinweis: Feststellung einer Mitunternehmerschaft anhand der Gesamtumstände
Ob und in welcher Gewichtung Mitunternehmerrisiko und Mitunternehmerinitiative vorhanden sind, ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu entscheiden. Dabei sind alle die rechtliche und wirtschaftliche Stellung einer Person insgesamt bestimmenden Umstände zu berücksichtigen (z.B. BFH v. 13.7.2017, IV R 41/14, BStBl II 2017, 1133).
Der Streitfall wirft erhebliche Zweifelsfragen in Bezug auf die Einordnung des Gesellschaftsvertrags als denkbare Grundlage für eine Mitunternehmerschaft auf. Eine Aussetzung des Klageverfahrens wäre nur dann entbehrlich, wenn offensichtlich ein Fall von geringer Bedeutung vorläge (§ 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO).
BFH Urteil vom 12.04.2021 - VIII R 46/18 (veröffentlicht am 10.06.2021)
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