Doppelte Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen
Hintergrund
Der 1942 geborene A entrichtete in 1962 - 1964 aus einem Ausbildungsverhältnis sowie in 1970 - 1977 als Angestellter Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Seit 1977 war er freiberuflich tätig, blieb aber freiwillig gesetzlich rentenversichert. Die von ihm seit 1984 entrichteten Beiträge waren weitestgehend mit dem jeweiligen Höchstbetrag zur gesetzlichen Rentenversicherung identisch. Seine Ehefrau war als Angestellte tätig und unterlag der gesetzlichen Sozialversicherung.
Seit Dezember 2007 bezieht A eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Im ESt-Bescheid 2008 ermittelte das FA die Einkünfte aus dieser Altersrente wie folgt:
Jahresbetrag der Rente | 19.839 EUR |
Steuerfreier Teil der Rente (46 % von 19.839 EUR) | ./. 9.126 EUR |
Werbungskostenpauschbetrag | ./. 102 EUR |
Einkünfte aus der Leibrente | 10.611 EUR |
A wandte dagegen ein, der Ansatz der Rente mit dem Besteuerungsanteil von 54 % führe zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Doppelbesteuerung. Ihm werde nach seiner mittleren Lebenserwartung ein steuerfreier Rentenbezug von 154.502 EUR zufließen. Demgegenüber hätten sich die von ihm geleisteten Rentenversicherungsbeiträge allein in der Zeit als Freiberufler auf insgesamt 290.199 EUR belaufen. Diese Beiträge seien weitestgehend aus versteuertem Einkommen entrichtet worden, da ihm kein steuerfreier Arbeitgeberanteil zugestanden habe und der den Sonderausgabenabzug erhöhende Vorwegabzug ganz überwiegend durch die auf dem Arbeitslohn seiner Ehefrau beruhende, ehegattenübergreifende Kürzung aufgebraucht worden sei und er und seine Ehefrau neben Sozialversicherungsbeiträgen zahlreiche weitere Vorsorgeaufwendungen (Beiträge zu Lebens-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen) geleistet hätten. Insgesamt seien während der freiberuflichen Tätigkeit 89,15 % der Beiträge aus versteuertem Einkommen gezahlt worden. Schon dieser Betrag übersteige den der steuerfrei zufließenden Rentenbezüge bei Weitem. Das FA und das FG wiesen diese Einwendungen mit dem Hinweis auf die Verfassungsmäßigkeit des Alterseinkünftegesetzes (AltEinkG) zurück.
Entscheidung
Der BFH verweist auf die bisherige Rechtsprechung zum Systemwechsel durch das AltEinkG. Danach ist auch die Grundsystematik der Übergangsregelungen - insbesondere das Fehlen einer Differenzierung zwischen früheren Arbeitnehmern und früheren Selbständigen bei der Festlegung der Höhe des Besteuerungsanteils - verfassungsgemäß. Dabei sind auch gröbere Typisierungen und Generalisierungen zulässig, da eine auf die individuellen Verhältnisse abstellende Übergangsregelung nicht administrierbar gewesen wäre. Gleichwohl ist im konkreten Einzelfall zwingend zu beachten, dass die zugrunde liegenden Beitragszahlungen aus versteuertem Einkommen nicht erneut der Besteuerung unterworfen werden dürfen (Verbot der Doppelbesteuerung). Diese verfassungsrechtliche Prüfung ist nicht bereits in der Beitragsphase, sondern erst beim späteren Rentenbezug vorzunehmen mit der Folge, dass zur Vermeidung einer Übermaßbesteuerung ein Anspruch auf Milderung in der Rentenbezugsphase in Betracht kommen kann. Dabei ist auf den Beginn des Rentenbezugs und nicht - wie das FG als weitere Begründung für die Klageabweisung angeführt hat - auf das Ende der Rentenlaufzeit abzustellen. Es kann also nicht unterstellt werden, dass erst die in der Schlussphase des Rentenbezugs zufließenden Zahlungen aus versteuerten Beiträgen stammen.
Da sich anhand des festgestellten Sachverhalts das Vorliegen einer Doppelbesteuerung nicht prüfen ließ, gab der BFH dem FG weitere Ermittlungen auf. Das FG hat zunächst die Höhe der A voraussichtlich steuerunbelastet zufließenden Rentenbeiträge zu ermitteln. Insoweit ist zunächst der steuerfreie Jahresbetrag der Rente maßgebend (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 4 EStG). Dieser Rententeilbetrag ist zu vergleichen mit dem aus versteuertem Einkommen geleisteten Teil der Altersvorsorgeaufwendungen. Dazu ist die Gesamtsumme der Rentenversicherungsbeiträge festzustellen und zu klären, in welcher Höhe diese Beiträge aus versteuertem Einkommen geleistet wurden.
Die Feststellungslast für das Vorliegen einer etwaigen Doppelbesteuerung liegt beim Steuerpflichtigen. Sind dem Betreffenden einzelfallbezogene Angaben ausnahmsweise nicht möglich oder zumutbar, ist der Anteil der aus versteuertem Einkommen geleisteten Altersvorsorgeaufwendungen zu schätzen.
Hinweis
Der BFH geht mit der bisherigen Rechtsprechung und dem BVerfG davon aus, dass dann, wenn der Steuerpflichtige eine doppelte Besteuerung hinreichend substantiiert darlegt, eine einzelfallbezogene Betrachtung anzustellen ist. Dazu weist der BFH darauf hin, dass bei der Ermittlung des steuerunbelastet zufließenden Rententeilbetrags die Lebenserwartung des Ehegatten, der Werbungskosten-Pauschbetrag, der Grundfreibetrag, die Sonderausgabenabzüge für die aus der Rente zu zahlenden Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge sowie die Zuschüsse der Rentenversicherungsträger zu den Krankenversicherungsbeiträgen zu berücksichtigen sind. Bei der Frage, in welcher Höhe die Beiträge aus versteuertem Einkommen geleistet wurden, kommt es nicht auf die Höhe der konkreten Einkommensminderung an. Zur Nachweispflicht ergänzt der BFH, dass weder für den Steuerpflichtigen noch für die Finanzverwaltung die Pflicht besteht, die ESt-Bescheide zeitlich unbegrenzt aufzubewahren. Wer sich jedoch darauf beruft, dass eine - wie hier - grundsätzlich verfassungsgemäße Regelung lediglich aufgrund der im konkreten Fall gegebenen besonderen Verhältnisse verfassungsrechtlich problematisch ist, hat zu den Besonderheiten seines Einzelfalls grundsätzlich einen konkreten und substantiierten Sachvortrag zu leisten.
BFH, Urteil v. 21.6.2016, X R 44/14, veröffentlicht am 2.11.2016
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