Nach den von der Rechtsprechung entwickelten und von der Finanzverwaltung in R 6.6 EStR übernommenen Grundsätzen zur Rücklage für Ersatzbeschaffung kann eine Gewinnrealisierung durch Aufdeckung stiller Reserven vermieden werden, wenn ein Wirtschaftsgut des Anlage- oder Umlaufvermögens aufgrund höherer Gewalt oder infolge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs gegen eine Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheidet und alsbald ein funktionsgleiches Ersatzwirtschaftsgut angeschafft wird (BFH, Urteil v. 29.4.1999, IV R 7/98, BStBl 1999 II S. 488).
Zweck der Anerkennung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung und deren Übertragung auf ein Ersatzwirtschaftsgut ist danach nicht allein, die als ungerechtfertigt empfundene Besteuerung eines Gewinns zu vermeiden, der durch die zwangsweise Aufdeckung stiller Reserven entsteht. Vielmehr soll es dem Steuerpflichtigen ermöglicht werden, die erreichte Entschädigung ungeschmälert zur Wiederbeschaffung des Ersatzwirtschaftsguts zu verwenden (BFH, Urteil v. 14.10.1999, IV R 15/99, BStBl II 2001 S. 130).
Die Bildung der Rücklage bewirkt, dass der durch die Ersatzforderung bzw. Ersatzleistung realisierte Gewinn neutralisiert wird. Ihre Bildung setzt aber voraus, dass die Absicht zur Ersatzbeschaffung besteht; andernfalls bleibt es bei der Gewinnerhöhung.
Wichtig: Das Bestehen der Ersatzbeschaffungsabsicht muss dargelegt und nachgewiesen werden. Ein bilanzierender Steuerpflichtiger dokumentiert diese Absicht bereits durch die ordnungsgemäße Bildung der Rücklage in seiner Bilanz. Ein darüber hinausgehender Nachweis oder eine Glaubhaftmachung der sog. Reinvestitionsabsicht wird für die erstmalige Bildung der Rücklage nicht verlangt. Allerdings muss dem Unternehmer die Vornahme der Investition objektiv noch möglich sein (BFH, Urteil v. 11.10.2007, X R 1/06, BStBl 2008 II S. 119).
Die Rücklage für Ersatzbeschaffung muss gewinnerhöhend aufgelöst werden, wenn
die Absicht der Ersatzbeschaffung aufgegeben oder
die Reinvestition nicht innerhalb einer bestimmten Frist durchgeführt wird.
Die Rücklage für Ersatzbeschaffung soll steuerliche Hindernisse für die Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens abbauen, indem es dem Unternehmer möglich gemacht wird, bei Beschaffung von Ersatz für ein aufgrund höherer Gewalt oder infolge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs aus dem Betriebsvermögen ausgeschiedenes Wirtschaftsgut, die erlangte Gegenleistung - etwa in Form einer Brandentschädigung - ungeschmälert zur Ersatzbeschaffung zur Verfügung zu haben. Weil das betriebswirtschaftlich geboten und volkswirtschaftlich wünschenswert ist, können anlässlich solcher Situationen frei werdende stille Reserven auf Reinvestitionsgüter übertragen werden. Es kommt zur vorläufigen Freistellung des Veräußerungsgewinns von der Einkommensbesteuerung, was dem Betrieb Mittel für dringend erforderliche Investitionsvorhaben verschafft.
Die Rücklage für Ersatzbeschaffung und die Rücklage nach § 6b EStG sind vergleichbar (BFH, Urteil v. 29.6.1995, VIII R 2/94, BStBl II 1996 S. 60), obwohl es sich bei § 6b EStG um privilegierte geplante Reinvestitionsmaßnahmen handelt, während die Ersatzbeschaffung eines Wirtschaftsguts wegen seines Untergangs aufgrund höherer Gewalt den Steuerpflichtigen unvorbereitet trifft.
Wichtig: Bei der Bewertung des Betriebsvermögens sind bei bilanzierenden Gewerbetreibenden und freiberuflich Tätigen die Schulden und sonstigen passiven Ansätze dem Grunde nach zu berücksichtigen (§ 103 Abs. 1 und § 109 BewG). Diese Identität wird jedoch bei den Rücklagen für Ersatzbeschaffung und bei der 6b-Rücklage durchbrochen (R B 95 Abs. 2 ErbStR), indem in der Steuerbilanz gewinnmindernd gebildete Rücklagen nicht abzugsfähig sind (§ 103 Abs. 3 BewG), unabhängig vom Rechtsgrund für ihre Bildung.