Danach verstößt § 6b EStG diskriminierend gegen die Niederlassungsfreiheit und ist mit den EU-Vorschriften unvereinbar. Hintergrund dafür ist, dass nach deutschem Recht eine Übertragung stiller Reserven auf Reinvestitionen nur dann möglich ist, wenn die neu angeschafften Wirtschaftsgüter zum Anlagevermögen einer Betriebsstätte in Deutschland gehören.
In der Praxis bedeutet dies, dass ein Steuerpflichtiger, der Wirtschaftsgüter seines Anlagevermögens veräußern möchte, um sich in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder in den EWR-Ländern Island, Liechtenstein oder Norwegen niederzulassen oder dort seine wirtschaftlichen Aktivitäten auszubauen, eindeutig benachteiligt ist. Diese Ungleichbehandlung ist deshalb geeignet, ihn von grenzüberschreitenden Investitionen abzuhalten.
Diese diskriminierende steuerliche Behandlung ist mit den EU-Vorschriften nicht vereinbar. Die Kommission ist insbesondere der Auffassung, dass die territoriale Beschränkung gegen die grundlegenden Regeln des Binnenmarktes verstößt, nämlich gegen die Niederlassungsfreiheit gem.
Art. 49, 54 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und
Art. 31, 34 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum.
Nach Auffassung der Kommission lassen sich die derzeit geltenden deutschen Vorschriften nicht rechtfertigen. Die Aufforderung der Kommission, die deutschen Vorschriften zu ändern, ist bereits der zweite Schritt des EU-Vertragsverletzungsverfahrens. Wenn Deutschland der Kommission nicht Maßnahmen mitteilt, mit denen die Verletzung des EU-Rechts abgestellt wird, kann die Kommission Deutschland beim Europäischen Gerichtshof verklagen.
Wichtig: Auch nach dem Urteil des Niedersächsischen FG vom 1.12.2011 (6 K 435/09) ist der Inlandsbezug in § 6b EStG ein Verstoß gegen EU-Recht und die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ungerechtfertigt. Vielmehr muss zum begünstigten Anlagevermögen auch das von einer Betriebsstätte im übrigen EU-Raum zählen.
Zwar entscheidet der EuGH im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts und nationale Gerichte haben ihm Fragen zur Entscheidung vorzulegen. Von der Möglichkeit der Einleitung eines solchen Vorabentscheidungsverfahrens sieht das FG jedoch ab, weil die Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit durch § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG bislang in der Rechtsprechung noch nicht geklärt ist und es vor diesem Hintergrund sinnvoller erscheint, kurzfristig ein Revisionsverfahren beim BFH zu ermöglichen.
Praxis-Tipp: Hiervon betroffene Unternehmer sollten vergleichbare Fälle im Hinblick auf eine denkbare Gesetzesänderung und die beim BFH unter I R 3/12 anhängige Revision über einen ruhenden Einspruch offenhalten.